Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Maria Gruber zu Reform der Pflegeversicherung/Koalition
Regensburg (ots)
Das jahrelange Gezerre um eine Pflegereform ist eine einzige Geschichte des Versagens. Viele Regierungen versprachen den großen Wurf, passiert ist aber nichts - beziehungsweise viel zu wenig, um etwas am Pflegenotstand zu ändern. Offenbar haben alte und pflegebedürftige Menschen und die, die sie betreuen, eine zu schwache Lobby - oder die Politiker keinerlei Verständnis dafür, was es bedeutet, alt, verwirrt, schwach und von der Hilfe anderer abhängig zu sein. Seit langem liegen die theoretischen Grundlagen für eine Reform und insbesondere für die Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs vor. In unzähligen Sitzungen hat sie der Pflegebeirat erarbeitet, der übrigens bereits von der letzten großen Koalition 2009 eingesetzt wurde. Diese hat die Empfehlungen des Expertengremiums aber nicht umgesetzt. Schwarz-Gelb wollte das nachholen - und hat es ebenfalls nicht getan. Sollte die nächste Bundesregierung eine große Koalition sein, muss sie das Thema Pflege endlich angehen - und das grundlegend. Ein weiteres Versagen darf es nicht geben! Was Pflegenotstand bedeutet, wissen diejenigen, die direkt betroffen sind. Für alle anderen könnten folgende Zahlen Aufschluss geben: So wird die Zahl der Pflegebedürftigen Prognosen zufolge von heute mehr als zwei auf 4,5 Millionen im Jahr 2050 steigen. Im selben Zeitraum verdoppelt sich die Zahl der an Demenz Erkrankten auf drei Millionen. Zwei Drittel der Betroffenen werden zu Hause von ihren Angehörigen umsorgt. Und die müssen häufig nicht nur damit zurechtkommen, dass der Ehepartner, dass Mutter oder Vater, sie nicht mehr erkennen und ihre Persönlichkeit verändern. Vielmehr nehmen sie auch in Kauf, ihre Berufstätigkeit reduzieren oder ganz aufgeben zu müssen. Wie sehr die schwarz-gelbe Regierung an die pflegenden Angehörigen gedacht hat, zeigt das Familienpflegezeitgesetz. Dass es floppt, war von Anfang an klar, denn mit der Realität oder den Bedürfnissen der Pflegenden hat es wenig zu tun. Und wer einen Blick auf die demografische Entwicklung wirft, sieht schnell: Diejenigen, die Angehörige pflegen können, werden immer weniger. Eine Rundum-Pflege durch ambulante Dienste können sich aber die wenigsten leisten. Deshalb engagieren viele Betreuerinnen aus Osteuropa. Etwa 100 000 Frauen arbeiten und wohnen auf diese Weise in Haushalten von Pflegebedürftigen - und das nicht selten in einer rechtlichen Grauzone oder illegal. Wer das nicht will, kann ja immer noch über einen "Oma-Export" nachdenken. Die Alten nach Thailand abschieben - ja, so etwas gibt es. Ein Armutszeugnis. Pflegenotstand auch in Heimen: Denn dort könnten nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung bereits im Jahr 2030 rund eine halbe Million Vollzeit-Pflegekräfte fehlen. Kein Wunder: Das Image ist schlecht und die Bezahlung auch - was verhindert, dass sich mehr Männer für den Beruf entscheiden. Deshalb hat sich die schwarz-gelbe Regierung im Ausland auf die Suche gemacht: in Spanien, Italien, Portugal, Griechenland, Bosnien-Herzegowina, Serbien, auf den Philippinen, in Tunesien und China. Kann das gutgehen? Wenn überhaupt, dann nur, wenn die Pfleger sehr gute Fach- und Sprachkenntnisse mitbringen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich hierzulande etwas tut. Bis jetzt haben sich Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt, dass der Beitragssatz zur Pflegeversicherung steigen soll - um 0,5 Prozentpunkte. Zudem sollen Pflegekräfte besser bezahlt und die Regeln für Teilzeitarbeit geändert werden, um Berufstätigen die Pflege Angehöriger zu erleichtern. Bleibt es dabei, darf sich Schwarz-Rot schon jetzt einreihen - in die Liste der Regierungen, die bei der Pflege versagt haben.
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