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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu den Koalitionsverhandlungen: "Desaster in Berlin" von Manfred Sauerer

Regensburg (ots)

Folgendes dürfen wir von den Verhandlungen für die künftige Koalitionsregierung erwarten: Konzepte und Rezepte, ja vielleicht sogar ein paar Visionen mit Umsetzungschancen für die brisanten Themen unseres Landes. Und selbstverständlich muss die Politik auch auf das Wohl der kommenden Generationen ausgerichtet sein. So viel Verantwortungsbewusstsein darf man unterstellen. Allein, der aufgeblähte Verhandlungsapparat in Berlin scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein. Zur Halbzeit der Gespräche stellt sich die bange Frage: Was wird das für ein Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD werden? Offenbar ein Interessensausgleich zwischen zwei (oder auch drei) gleichwertigen Partnern, die dem Wählerwillen nach gar nicht gleichwertig sind, bei dem der kleinste gemeinsame Nenner die größte Rolle spielt und jeder noch so kleinen Lobby etwas Gutes getan werden soll. Bei den großen Zukunftsfragen bleibt man indifferent. Die Wirtschaftsweisen haben ihr Urteil schon gesprochen: "Rückwärtsgewandte Politik!" Jeder blamiert sich so gut er kann. SPD-Frau Manuela Schwesig hatte in der Familien-Arbeitsgruppe gleich mit dem Abbruch der Koalitionsverhandlungen gedroht, weil man sich zu den Rahmenbedingungen der Homo-Ehe im Kreis gedreht hatte. Welche Bedeutung etwa der Wahlsieger CDU diesem Themenfeld beimisst, wird auch an seiner Verhandlungsführerin deutlich. Annette Widmann-Mauz ist Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und hat nie im Bereich der Familienpolitik gearbeitet. Dann verließ SPD-Bayernchef Florian Pronold das Verkehrsgremium, weil die Unionsleute seiner Idee der Ausweitung der Lkw-Maut nicht nähertreten wollten. Horst Seehofer hätte ja lieber eine Pkw-Maut nebst monströser Bürokratie. Solche Vorkommnisse lassen die Beteiligten bisweilen als inkompetent erscheinen. Schlimmer aber ist die Tatsache, dass sich hier eine künftige satte Mehrheit im Bundestag an den Zukunftsperspektiven von Land und Leuten versündigt. Natürlich haben die einstigen Agenda-2010-Reformen neben der positiven Wirtschaftsdynamik auch Verlierer produziert. Es gibt zahlreiche prekäre Arbeitsverhältnisse. Die aktuell 31 Milliarden Überschuss in der Rentenkasse sollen aber weder für die gesetzlich vorgeschriebene Beitragssenkung verwendet werden noch für Maßnahmen gegen die Altersarmut. Die blüht vor allem den nächsten Generationen. Nein, die Milliarden sind bestimmt für ein Geschenk an die Stammwählerinnen der beiden großen Parteien. Die sogenannte Mütterrente vergrößert die Rentenansprüche von Frauen, die vor 1992 Kinder bekamen. Das mag gerecht sein, korrigiert aber nur eine von zahlreichen Stichtagsregelungen in der deutschen Sozialpolitik und kostet pro Jahr rund sieben Milliarden Euro. Das ist mehr, als der Staat derzeit für Eltern- und Betreuungsgeld zusammen ausgibt. Die Folge werden mittelfristig steigende Rentenbeiträge sein - eine Zumutung für die Jungen. Die SPD hat ihr Koalitionsschicksal zudem an den gesetzlichen Mindestlohn gekoppelt. Man muss kein Wirtschaftsweiser sein, um den Zusammenbruch ganzer Branchen in Ostdeutschland vorherzusagen. Aber auch in den alten Ländern wird es dann wieder mehr Arbeitslose geben. Die SPD hat dann noch die Idee auf Lager, eine abschlagsfreie Rente an 63-Jährige auszuzahlen, die seit 45 Jahren arbeiten. Ihr früherer Vorsitzender Franz Müntefering hat sich einst als Arbeitsminister wochenlang verbal prügeln lassen, um die Rente mit 67 auf den Weg zu bringen. Er muss sich jetzt wie ein Idiot fühlen. Vielleicht wird die Union wenigstens in diesem Fall hart bleiben. An anderer Stelle zeigt die Partei der Kanzlerin schon jetzt klare Kante, obwohl Reformen sinnvoll wären. Ein Bundesprogramm zum Ausbau von Ganztagsschulen wurde im Wahlkampf auch von der CDU propagiert, nun aber lehnt Bildungsministerin Johanna Wanka die Idee ab. Auch wenn es wegen der Länderhoheit in Sachen Bildung noch Hürden gibt - mehr Ganztagsschulen wären zweifellos ein Segen für junge Familien und erhöhten die Zukunftschancen der Kinder. Beim Megathema Energiewende herrscht sowieso Flaute. Horst Seehofer darf nun größere Abstände von Windrädern zu Wohngebieten verlangen. Bravo! Die Gretchenfrage, wie die Diskrepanz von niedrigen Preisen an der Strombörse und hohen garantierten Einspeisevergütungen anders zu lösen ist als durch ständig wachsende Ökostromumlagen vor allem für Privatverbraucher, bleibt unbeantwortet. Geschacher, Konzeptlosigkeit, gegenseitiges Neutralisieren und Lobby-Politik statt Generationengerechtigkeit - wir haben gewählt und blicken nun fassungslos nach Berlin.

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