Mittelbayerische Zeitung: Hinschauen und handeln
Regensburg (ots)
Von Ulrich Krökel
Martin Schulz brachte es pünktlich zum Ost-Gipfel in Vilnius auf den Punkt. Dieses Scheitern werde die EU noch lange beschäftigen, prophezeite der EU-Parlamentspräsident. "Hoffentlich!", möchte man ihm zurufen. Schulz selbst ließ in den Wochen vor dem Gipfel Fragen zur Ukraine meist unbeantwortet. "Dafür habe ich derzeit keinen Kopf", lautete die lapidare Botschaft. Die Koalitionsverhandlungen in Berlin waren wichtiger. So ist das immer, wenn die Sprache in Brüssel oder anderen westlichen Hauptstädten auf jenes Zwischeneuropa kommt, das die EU von der Möchtegern-Weltmacht Russland trennt. Ukraine, Moldau, Georgien? Kein Interesse. Es ist zuallererst die Ignoranz des Westens, die der EU die Niederlage in Vilnius beschert hat. Fixpunkt des Brüsseler Denkens und Handelns bleibt Moskau. So ist das auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, die allen Ernstes russisches "Taktieren mit den Mitteln des Kalten Krieges" beklagt, um im selben Atemzug anzukündigen, nun einmal mit Kremlchef Wladimir Putin über die Ukraine Tacheles zu reden. Was, bitte, ist das für eine Denkfigur? Für die Ukraine selbst hat die Kanzlerin vermutlich keinen Kopf. Um Martin Schulz Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Er war es immerhin, der die Ukraine-Mission der Ex-Präsidenten Pat Cox und Alexander Kwasniewski aufs Gleis gesetzt hat. Allerdings können zwei "Ex" die erste Garde nicht ersetzen. Wann hat man zuletzt Kanzlerin Merkel, den Briten-Premier Cameron oder den französischen Präsidenten s Hollande nach Kiew oder Tiflis fliegen sehen, um sich der Dinge vor Ort anzunehmen? Putin ist regelmäßig zur Stelle. Die wichtigste Lehre, die es aus Vilnius zu ziehen gilt, lautet daher: Hinschauen und handeln! Dabei gibt es mit Blick auf den Schlüsselstaat Ukraine einige simple Dinge zu bedenken. Erstens: Viktor Janukowitsch ist kein berechenbarer politischer Partner. Er hat wiederholt sein Wort gebrochen. Auf nichts, was er sagt oder ankündigt, ist Verlass. Mit einem solchen Irrläufer lassen sich keine historischen Verträge schließen. Zweitens: Das Janukowitsch-Regime ist zutiefst korrupt. Es hat seine Wurzeln in dem Milieu der ukrainischen Mafia der 90er Jahre. Vor allem deshalb steht das Land vor dem Staatsbankrott. Wer Geld in die Ukraine pumpt, leitet automatisch einen großen Teil in dunkle Kanäle. Die von Janukowitsch geforderten Milliarden sollte sich die EU deshalb sparen. Drittens: Weil mit Janukowitsch kein Staat zu machen ist, ist es weiterhin wichtig, auf einer Freilassung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko zu bestehen. Wer jetzt in dieser Frage klein beigibt, den nehmen die Ukrainer nie mehr ernst. Am Rande des Vilnius-Gipfels wurde fatalerweise klar, dass die EU genau diesen Weg gehen könnte, weil er der vermeintlich leichteste ist. Viertens: Die Ukraine ist ein potenziell reiches Land. Sie verfügt über Rohstoffe, eine industrielle Basis, die fruchtbarsten Böden Europas und 46 Millionen Einwohner. Doch nicht nur als Markt ist die Ukraine von großem Interesse für die EU. Eine demokratische Entwicklung erhöht die Sicherheit in der Region und könnte im besten Fall auf Russland ausstrahlen. Die EU sollte deshalb aktiv auf Wandel in der Ukraine hinwirken. Fazit: Aus dem Gesagten folgt, dass auf Dauer nur ein Regimewechsel in Kiew die Probleme lösen kann. Die EU sollte alles tun, um die ukrainische Opposition zu stärken. Auch deshalb darf sie Timoschenko nicht abschreiben. Mit Vitali Klitschko gibt es zudem einen durchaus ernst zu nehmenden Partner. Konfrontation mit den Mächtigen und Kooperation mit den (noch) Ohnmächtigen ist die einzige vernünftige Alternative.
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