Mittelbayerische Zeitung: Europa lebt - Zehn Jahre Osterweiterung am 1. Mai: Das ist - trotz aller EU-Skepsis vor allem im "alten Europa" - Anlass zur Freude. Von Ulrich Krökel
Regensburg (ots)
Im Osten geht bekanntlich die Sonne auf. In gewisser Weise gilt das auch für die Europäische Union. Die Euro-Revolution in der Ukraine ist zwar ins Stocken geraten. Doch der Aufstand in Kiew hat gezeigt, welche Anziehungskraft die EU noch immer ausüben kann. Mehr noch: Das wirtschaftlich über ein Jahrzehnt hinweg enorm erfolgreiche Polen hat vorgemacht, wie man mit Brüsseler Hilfe den Sprung in die Moderne schaffen kann. Und da sind die baltischen Staaten, die sich mit unglaublicher Kraft aus dem Sumpf der Wirtschafts- und Finanzkrise gezogen haben. Estland im Norden der Region ist mit dem Euro-Beitritt 2011 vorangeschritten und glänzt seither mit starken ökonomischen Kerndaten. Nun folgt am 1. Januar Lettland. Innerhalb der EU wurde die baltische "Sandwichrepublik" von der Krise am härtesten getroffen - weit schlimmer als Griechenland oder Spanien. Vier Jahre später sind die Letten wieder da und führen den Euro ein. Sie haben Spanien, Griechenland und viele andere weit hinter sich gelassen. Litauen im Süden des Baltikums lässt sich etwas mehr Zeit. 2016 will man sich der Währungsunion anschließen. Aber die langsamste der drei ehemaligen Sowjetrepubliken hat im abgelaufenen Halbjahr mit ihrer Ratspräsidentschaft gezeigt, dass man politisch so etwas wie das Luxemburg des Ostens ist: klein, aber einflussreich. Der Euro-Beitritt Lettlands und die erfolgreiche Ratspräsidentschaft der Litauer zeigen, dass Europa im Osten zehn Jahre nach der großen Erweiterungsrunde lebt. Selbstverständlich ist auch dort nicht alles Gold, was glänzt. Polen steht wirtschaftlich am Scheideweg zwischen Krise und neuem Aufschwung. Die Euro-Einführung musste verschoben werden. In anderen Ländern sind die Probleme sogar schlimmer. Ungarn hat eklatante Demokratiedefizite, in Bulgarien und Rumänien blüht die Korruption, und Tschechien taumelt von einer Polit-Groteske in die nächste. Dennoch: Verglichen mit der Stimmungslage in vielen Staaten der alten EU sind die Erweiterungsländer von 2004 und 2007 im Kommen. Von der anstehenden Europawahl im Mai erwarten viele Beobachter einen regelrechten Durchmarsch populistischer und vor allem euroskeptischer Parteien. Allerdings gilt das fast ausschließlich für das "alte Europa". Die Achse reicht von den Wahren Finnen im Norden über die britische UKIP, Geert Wilders in den Niederlanden und Marie Le Pen in Frankreich bis hin zur Lega Nord in Italien. Im Osten des Kontinents sind dagegen mit Europahass nur wenige Stimmen zu gewinnen. Viktor Orban in Ungarn profiliert sich gern gegen "die da in Brüssel". Sein Erfolg hat aber vornehmlich andere, innenpolitische Gründe. Jaroslaw Kaczynski in Polen versucht Ähnliches - ohne sichtbaren Effekt. Im Baltikum würde vermutlich fast niemand sein Kreuz bei einer Anti-EU-Partei machen. Das Argument liegt nahe, dass die Nehmerländer im Osten weniger Grund zur Kritik an der EU haben als die Geberländer im Westen. Das mag so sein. Allerdings gilt auch: Von neuen Autobahnen in Polen profitiert vor allem die Bau- und Exportwirtschaft in Deutschland, Österreich und anderen alten EU-Staaten. Ähnliches gilt für die berüchtigten Wanderungsströme. Der Hass auf osteuropäische Migranten und die Angst vor ihnen ist in Großbritannien und den Niederlanden mit Händen zu greifen. Rechtspopulisten, die ein gesteigertes Interesse an gesellschaftlicher Eskalation haben, schüren ihn. In Wirklichkeit ist die Migration für beide Seiten problematisch, zugleich aber auch von Nutzen. Den im Westen verunglimpften "Einwanderern in die Sozialsysteme" stehen all die Fachkräfte aus dem Osten gegenüber, ohne die etwa die deutsche Wirtschaft Probleme bekäme. Der Aderlass an gut ausgebildeten jungen Leuten ist für die baltischen Staaten, für Polen und Ungarn enorm schwer zu verkraften. Wenn sich im neuen Jahr am 1. Mai die EU-Osterweiterung zum zehnten Mal jährt, ist dies ein Anlass zu Freude und Stolz auf allen Seiten. Das schönste Geburtstagsgeschenk wäre eine neue Regierung in der Ukraine und eine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU.
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