Mittelbayerische Zeitung: Kommentar von Katia Meyer-Tien zu Hagens Körperwelten
Regensburg (ots)
Bald zwanzig Jahre nach ihrem ersten Auftritt auf der Weltbühne ist Gunther von Hagens Leichenschau kein Aufreger mehr. Und das ist gut so. Der Rückzug des extrovertierten, polarisierenden, öffentlich Leichen sezierenden Gunther von Hagens, der die Demokratisierung der Anatomie forderte und dabei vor allem deren Boulevardisierung vorantrieb, nimmt der Ausstellung viel vom Nimbus des grotesken Grenzgängertums. Der war gut für die Verkaufszahlen, konterkarierte aber immer wieder den wissenschaftlichen Anspruch, den die Veranstalter - durchaus zu recht - erheben. Der Ausstellungskatalog liest sich streckenweise wie ein sehr anschauliches Biologiebuch. Wer will, kann viel lernen bei einem Besuch der Körperwelten, und sei es nur das Staunen vor dem Wunder des menschlichen Körpers. Dennoch: Es bleibt Unbehagen angesichts der hier perfektionierten Transformation des Menschen zum (Ausstellungs-)Stück, das willkürlich in jeder Position präsentiert werden kann, ob als Schachspieler oder beim Geschlechtsakt. Ein Schaudern, das weniger mit Grusel vor den Toten, als vielmehr mit Verwunderung über die Lebenden zu tun hat.
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