Mittelbayerische Zeitung: Arm, sexy, gescheitert
Wowereits Rückzug offenbart die Schwäche der Berliner SPD. Seinem Nachfolger droht die Abwahl. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Vor 13 Jahren war Klaus Wowereit urplötzlich zum Stern am dunklen Himmel der SPD aufgestiegen. Nach all dem Filz und der milliardenschweren Pleite der Berliner Landesbank unter einem schwarz-roten Senat, versprach der neue, flotte SPD-Mann frischen Wind für die Hauptstadt. Die abgehalfterte Berlin-SPD war plötzlich wieder vorzeigbar. Mit kräftigen Sprüchen machte sich der "Regierende Partykönig" auch rasch bundesweit einen Namen. "Ich bin schwul - und das ist gut so, liebe Genossen", lautete sein öffentliches Outing, mit dem er einer Veröffentlichung in der Springer-Presse zuvor kam. Berlin sei "arm, aber sexy", schlug "Wowi" aus der chronischen Finanznot der Hauptstadt noch werbemäßig Kapital. In 13 Jahren an der Spitze von rot-roten, oder wie zurzeit, rot-schwarzen Senaten hat er zwar nicht sonderlich viel zustande gebracht, doch der hippe SPD-Mann stand irgendwie für die angesagte Kreativ-Hauptstadt. Gestern nun ist der funkelnde Stern Wowereits verglüht wie eine kleine Sternschnuppe. Selbst als Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten war der Berliner gehandelt worden. Eine Ewigkeit scheint das her. Pech klebte schon lange an ihm. Und auch das Glück hat ihn verlassen. Der Regierende Bürgermeister wirkte müde, zermürbt, saft- und kraftlos. Wenigstens den Termin seines Rückzuges wollte Wowereit nun noch selbst bestimmen. Vor allem mit seinen politischen Pleiten wird Wowereits Name verbunden bleiben. Der Großflughafen BER erwies sich als viele Nummern zu groß für ihn. Wann von dem milliardenteueren Airport Flugzeuge starten werden, weiß bis heute kein Mensch. Lange deckte Wowereit seinen Kulturstaatssekretär, der kräftig Steuern hinterzogen hatte. Und vor ein paar Wochen fielen die Senatspläne zur Bebauung des einstigen Tempelhofer Flughafenareals bei den Berliner glatt durch. Statt für das Projekt zu werben, verlegte sich Wowereit aufs Beschimpfen der eigenen Bürger. Das Problem ausländischer Flüchtlinge, die monatelang einen Platz in Berlin-Kreuzberg besetzten, wollte er aussitzen. Und eine erneute Olympia-Bewerbung für die Hauptstadt ging Wowereit nur hasenfüßig an. Angesichts dieser Reihe von Pleiten, Pech und Pannen kommt Wowereits Rückzug nicht überraschend. Die eigenen Genossen hatten den erfolglosen Berliner Senatschef längst fallengelassen. Die Diadochenkämpfe um Wowereits Erbe waren sogar schon vor Monaten offen ausgebrochen. Dann wurden sie notdürftig übertüncht. Doch nun gehen sie auf offener Bühne weiter. Einen wirklich fähigen und populären Spitzenmann hat die SPD jedoch nicht anzubieten. All das verspricht für die Stadt und die einst stolze Partei von Willy Brandt nichts Gutes. Auch für die Bundes-SPD kommt der Wirbel um Wowereits Rückzug ganz und gar ungelegen. Gerade ist die SPD mit dem emsigen Vize-Kanzler und Energiewendeminister Sigmar Gabriel dabei, bundesweit so etwas wie Seriosität und Verlässlichkeit aufzubauen, da wird sie von den Berliner Baustellen zurück auf den harten Boden der Unzulänglichkeit geholt. Noch für zwei Jahre gilt für die Hauptstadt der Koalitionsvertrag von SPD und CDU. Womöglich wird der Wowereit-Nachfolger danach jedoch vom blassen CDU-Spitzenmann Frank Henkel aus dem Roten Rathaus gedrängt. So oder so jedoch bleibt die defizitäre Hauptstadt auf Hilfen der anderen Länder und des Bundes angewiesen. Wowereit ist bald weg, Berlins Probleme aber bleiben.
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