Mittelbayerische Zeitung: Einer Frage des Gespürs
Horst Seehofer muss reparieren, was seine Staatskanzleichefin ruiniert hat - und steht unter Zugzwang. Leitartikel von Holger Schellkopf
Regensburg (ots)
Deutlicher hätte es Christine Haderthauer in ihrer Rücktrittserklärung kaum machen können: Sie tritt weder freiwillig zurück noch hat sie auch nur ansatzweise verstanden, warum ihr Rücktritt unausweichlich war. Eingeständnis von Fehlern oder gar Reue? Keine Spur. Stattdessen tragen die böse Öffentlichkeit und die noch böseren Medien die Schuld. Dabei ist es unter normalen Umständen kaum tragbar, dass eine Ministerin im Amt bleibt, die unter dem Verdacht steht, sich an der Arbeit verurteilter Straftäter bereichert zu haben. Dieser Verdacht muss nun erst einmal juristisch aufgearbeitet werden. Für die Notwendigkeit ihres Rücktritts hat Haderthauer aber unabhängig davon längst gesorgt. Die Art und Weise, wie sie mit dem Thema umgegangen ist, offenbart ein Selbstverständnis, das mit einem exponierten Posten wie dem der Staatskanzleichefin nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Wie sie die politische Diskussion und die Ermittlungen gegen sie als "Sommertheater" abtun wollte, am Ende das Geschäft mit den Modellautos gar als eine Art soziale Initiative darzustellen suchte, gibt nicht nur Einblick in die Persönlichkeitsstruktur Haderthauers. Es erinnert stark an bereits aus den Affären um Guttenberg und Wulff bekannte Handlungsmuster. Auch der ehemalige CSU-Superstar und der frühere Bundespräsident mussten nicht gehen, weil sie eine misslungene Doktorarbeit eingereicht oder intensive Beziehungen zu diversen Unternehmern unterhalten haben. Sie mussten gehen, weil sie nicht verstanden haben, dass die Menschen im Land in solchen Fällen ein Recht auf Information haben. Ein Recht darauf haben, zu wissen, was die Volksvertreter - ja, es gibt einen Grund für diesen etwas antiquierten Begriff - da so treiben und nicht mit Halbwahrheiten, Unwahrheiten oder Nichtinformation abgespeist werden können. Wie Guttenberg und Wulff ist Haderthauer an ihrem verbogenen Selbstbild, fehlendem Gespür für die Situation und einer katastrophalen Kommunikationspolitik gescheitert. Über ein ganz ausgezeichnetes Gespür für Situationen verfügt im Normalfall Bayerns Ministerpräsident. Umso mehr dürfte sich Horst Seehofer über die Vorstellung seiner Staatskanzleichefin geärgert haben. Es ist ja nicht so, als hätte der CSU-Chef gerade keine anderen Baustellen. Das Vorzeigeobjekt Pkw-Maut steht in Berlin unter Dauerbeschuss. Hinzu kommt, dass Seehofer selbst in seiner Partei nicht mehr der unumstrittene Held ist. Zwar rekrutierten sich die Wortführer bisher aus eher ausrangiertem Personal wie dem Niederbayern Erwin Huber, doch die Stimmen der Unzufriedenen wurden unüberhörbar lauter. Die Nachfolgeregelung in Sachen Haderthauer ist für Seehofer ein durchaus heikles Thema. Er muss jemanden finden, der den anspruchsvollen Job in der Staatskanzlei dauerhaft stemmt, und mit seiner Wahl obendrein in den Reihen der CSU möglichst viele Interessen befriedigen. Europagruppenchefin Angelika Niebler wäre eine Kandidatin. Mit der Frau aus Oberbayern würde Seehofer auch die Proporz-Anforderungen erfüllen. Niebler will wohl lieber in Brüssel bleiben. Dem Ruf des Chefs, so er denn trotzdem erfolgt, könnte sie aber kaum Widerstand leisten. Erstaunlich häufig fällt in CSU-Kreisen auch der Name Albert Füracker. Das ist - unabhängig von seinen tatsächlichen Chancen - eine Auszeichnung für den noch recht jungen Staatssekretär. Die notwendige Glaubwürdigkeit und Bodenständigkeit würde Füracker mitbringen, das entsprechende Standing in München hat er offensichtlich auch. Allerdings würde er als männlicher Oberpfälzer das Proporz-Gefüge im Kabinett erstmal mächtig durcheinanderbringen. Seehofer müsste gleich an mehreren Stellen nachbessern. Ob er sich das gerade jetzt antun will, darf bezweifelt werden. Aber im Gegensatz zu Haderthauer hat Seehofer zumeist ein blendendes Gespür für Menschen und Situationen - und Spaß an Überraschungen.
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