Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Ukraine: Vertane Chance von Nina Jeglinski
Regensburg (ots)
In wenigen Wochen jähren sich in der Ukraine zwei Ereignisse, mit denen das Land vor allem die Hoffnung auf eine Zukunft im Westen verbindet. Zum einen ist es Ende November zehn Jahre her, dass Hunderttausende in der Ukraine erstmals zu Massenkundgebungen strömten und eine europäische Integration forderten. Die Proteste gingen als "Orange Revolution" in die Geschichte ein. Zum anderen entstand Ende November vergangenen Jahres eine neue Protestbewegung, die das gleiche Ziel hatte. Auslöser im Spätherbst 2013 war die Weigerung des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, ein weitreichendes Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Monatelang protestierten die Menschen in Kiew und anderen Landesteilen, bis schließlich Janukowitsch Ende Februar floh. Eine zentrale Forderung der Proteste von 2004 und von 2013 waren freie Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, damit das Land reformiert und neu gestaltet werden kann. Im Mai 2014 wählten sich die Ukrainer mit Petro Poroschenko einen neuen Präsidenten. Er galt vielen als Hoffnungsträger für eine europäische Linie des Landes. Poroschenko selber sprach wenige Tage nach seinen Amtsantritt von einem kompletten Neuanfang, der vollzogen werden müsse, deshalb brauche es möglichst schnell Parlamentswahlen. Doch anstatt neue Parteien zu gründen, in denen die demokratischen Aktivisten der Protestbewegung ihre Ziele umsetzen können, übernahmen vor allem bekannte Vertreter des Kiewer Politikbetriebs die Regie für die Wahlen. In den vergangenen Wochen sind reihenweise neue Parteien aus dem Boden geschossen, doch hinter ihnen verbergen sich die alten Gesichter und Geldgeber. Zwar ist seit Februar eine Übergangsregierung am Ruder, die von Politikern geleitet wird, die den Maidan-Protest maßgeblich vorantrieben. Aber es ist ihr weder gelungen, die Wahlgesetze zu reformieren, noch die Parteienfinanzierung transparent zu gestalten. Die Wahl wird deshalb überwiegend Politiker im Parlament bestätigen, die dort schon jahrelang sitzen, oder aber Kandidaten zu Abgeordneten machen, die dank eines gutgefüllten Bankkontos in der Lage waren, sich als Direktkandidat aufstellen zu lassen oder sich einen aussichtsreichen Listenplatz bei einer Partei zu kaufen. Ob die wenigen wirklichen Neueinsteiger Mehrheiten organisieren können, um der Korruption und der Vetternwirtschaft erfolgreich den Garaus zu machen, ist mehr als fraglich.
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