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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Pascal Durain zu Unwort des Jahres/Pegida

Regensburg (ots)

Montagabend, kurz nach 19 Uhr: In Dresden marschieren wieder Zehntausende gegen die "Islamisierung des Abendlandes", sie tragen Trauerflor im Gedenken an die ermordeten Charlie-Hebdo-Redakteure, viele Kameras und Mikrofone sind auf sie gerichtet. Das ZDF bittet seinen Reporter zur Live-Schalte, während im Hintergrund die Massen und wehenden Deutschland-Flaggen an ihm vorbeiziehen. Der Reporter sagt, dieses Mal seien mehr Leute nach Dresden gekommen, die Stimmung sei ernster, viele tatsächlich betroffen durch die Ereignisse von Paris - aber auch Lügenpresse-Sprechchöre habe er immer wieder vernommen. Und dann geschieht etwas, das kein Reporter planen kann: Ein Mann mit einer Uschanka (der Inbegriff der russischen Kopfbedeckung), mit Kippe in der Hand und Wut im Bauch, drängt sich ins Bild. Sein Name ist Stephane Simon, der im Dezember als offizieller Redner bei einer Pegida-Demo auftrat. Er schreit in die Kamera: "Lügner, ihr seid alle Lügner! (...) Schaltet Eure Scheiß-Kameras ab!" In den Hintergrund stellen sich Männer mit "Multikultur tötet"-Schildern. Das ZDF-Studio bricht die Übertragung ab, die Informationen seien trotzdem rübergekommen. 15 Stunden später verkünden Sprachwissenschaftler das Unwort des Jahres. Und wieder mahnt die Jury nach "Sozialtourismus" oder "Döner-Morde" damit den Zeitgeist an: 2014 - das steht für "Lügenpresse". Ein Wort, das heute als Kampfansage durch die Straßen hallt. Ein Wort, das für Zehntausende ein Ausdruck ist, endlich aufzustehen und unbequeme Wahrheiten zu verkünden - und das auch noch im Namen der Journalisten, die für ihre Haltung mit dem Leben bezahlten. "Lügenpresse" - das ist ein Begriff mit Tradition, der immer dann herangezogen wird, wenn man sein Handeln und seine Wertvorstellungen nicht hinterfragen will - oder hetzen und andere einschwören will, Augen, Ohren und Hirn zu verschließen. "Lügenpresse" - das ist - neben "Überfremdung" (Unwort des Jahres 1993) oder "Volksverräter" - ein Kampfbegriff der Abendland-Retter. Dass die meisten Pegida-Anhänger dabei die Nähe zu Reichspropagandaministers Joseph Goebbels ("Die rote Lügenpresse führt einen Verleumdungsfeldzug gegen uns durch") oder andere geistiger Brandstifter übersehen wollen, ist dagegen weniger verwunderlich. Wer ohnehin davon überzeugt ist, dass alles Lüge ist, dem fällt auch das nicht schwer. Wer braucht auch schon Argumente, wenn er eine Haltung wie "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" hat? Und das Hetzen möge beginnen. Welche rhetorische Brandstiftung die Pegida-Bewegung betreibt, wird auch bei ihrem Schlachtruf "Wir sind das Volk" offensichtlich: Denn anders als Bürgerrechtler in der ehemaligen DDR (deren Staatsapparat ebenfalls gern von "kapitalistischer Lügenpresse" sprach), die mit diesen vier Worten auf die gesamtdeutsche Bevölkerung abzielten, bezieht man sich auf den Pegida-Protesten nur auf den Begriff "Volk". Das "deutsche Volk" stehe als auf "Asyl-Betrüger" und "Multikulti-Wahn". Aber ein Rassist ist hier natürlich niemand. Pegida spuckt auf demokratische Regeln, ist ja alles nur "Gutmenschen-Getue". Hier wird nur verkündet, aber nicht begründet. Und weil die Lügenpresse das nun mal anders macht, sei die eben unpatriotisch. So hetzen sie weiter und bereiten all denen einen Nährboden, die bereits Namen von Journalisten auf eine Liste für ein zweites Kriegsverbrechertribunal ("Nürnberg 2.0") geschrieben haben. Das Verbrechen: Schuld an der Islamisierung Deutschlands. Kein Wunder also, dass Bernard Holtrop, Karikaturist bei Charlie Hebdo, der während des Anschlags nicht in der Redaktion war, über diese Solidaritäts-Bekunder sagt: "Wir kotzen auf all die Leute, die plötzlich sagen, sei seien unsere Freunde."

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