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Mittelbayerische Zeitung: Irren auf Vorrat
Sinnlos, sinnloser, Vorratsdatenspeicherung: Ihr Zustandekommen ist politisches Kalkül - und falsch zudem. Leitartikel von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

Wer sich in Deutschland sicherer fühlt als früher, hat wahrscheinlich kürzlich eine Lebensversicherung abgeschlossen. Oder trägt seit neuestem beim Radfahren einen Helm. Das neue Gefühl der Sicherheit wird aber nicht daher kommen, dass es bald die Vorratsdatenspeicherung gibt, die jetzt Höchstspeicherfrist heißt und doch immer noch nichts anderes ist als ein Eingriff in die Privatsphäre. Wer etwas Positives erkennen möchte, könnte sagen, die Koalition tut etwas. Wer SPD wählt, könnte sagen, die SPD hat geschafft, was andere nicht schafften. Er würde dabei ignorieren, dass es keinen Grund für die Einführung gibt. Wer behauptet, massenweise Datensammlungen helfen bei irgendetwas, irrt quasi auf Vorrat. Kein bekanntes Verbrechen, kein Terrorakt hätte mit der Vorratsdatenspeicherung verhindert werden können. Wer behauptet, die NSU-Mordserie wäre schneller aufgeklärt worden, sollte sich ins Gedächtnis rufen, dass über zehn Jahre niemand auch nur an einen Zusammenhang gedacht hatte. Selbst wenn, hätte man zehn Jahre alte Daten durchforsten müssen. So lange aber speichert niemand. Die Anschläge von Paris ereigneten sich, obwohl das Land die Daten seiner Bürger speichert. Und wäre der Tod von 150 Menschen an Bord der Germanwings-Maschine zu verhindern gewesen, wenn man die Daten des Copiloten gespeichert hätte? Leider nicht. Wer immer noch glaubt, dass so viel Überwachung wie möglich effektiv dabei helfen kann, Verbrechen und Gewalt zu verhindern, sollte sich den gewaltigen Aufwand vor Augen führen, mit dem die NSA und ihre verbündeten Dienste die Welt bespitzeln - und den vergleichsweise minimalen Aufwand, der nötig war, um den Boston-Marathon vor genau zwei Jahren für immer als blutige Erinnerung in unsere Köpfe zu bomben. Totale Prävention durch Totalüberwachung gibt es nicht. Zumal sich ein freiheitlicher Staat von einem Überwachungsstaat dadurch abgrenzt, dass er seinen Behörden nicht alles erlaubt. Was Bundesjustizminister Heiko Maas nun an Leitlinien vorgelegt hat, könnte allen Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof gemacht haben, gerecht werden. Beide haben die Vorratsdatenspeicherung ja nicht an sich abgelehnt; beide sahen sie nur in der vorgelegten Form als Bundesgesetz beziehungsweise Richtlinie nicht mit Verfassung und Grundrechten vereinbar. Maas' Leitlinien umschiffen allem Anschein nach alle Hürden, beachten alle Probleme - und dienen letztlich nur dem Ziel der Profilierung der SPD innerhalb der großen Erdrückung, die die große Koalition für die Genossen darstellt. Parteichef Sigmar Gabriel hat seine SPD vor der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag abstimmen lassen, ob sie sich ein zweites Mal der Gefahr eine Polit-Ehe mit der Merkel-Union aussetzen will. Er bekam die Zustimmung dafür. Er muss liefern. Die SPD in Berlin versucht seither, mit ihrer Arbeit beim Wähler zu punkten. Das aber gelingt den Genossen nicht einmal mit dem Mindestlohn. Gabriel hat zuletzt Maas dazu gedrängt, sein Nein zur Vorratsdatenspeicherung aufzugeben. Maas hat geliefert, zum Preis seiner eigenen Glaubwürdigkeit und der seiner Partei, die der Datensammelei immer abgeneigt war. Die SPD mag sich nun brüsten, umgesetzt zu haben, woran Union und FDP scheiterten. Der Parteichef mag Richtlinienkompetenz bewiesen haben. Viele in der Partei und noch mehr außerhalb aber fragen sich wohl zurecht, wohin die Reise geht und ob Gabriel den Kompass nicht einem gewissen Odysseus abgekauft haben mag. Die Unionsparteien und Innenminister Thomas de Maizière indes dürfte es freuen, bald das langersehnte Wundermittel Vorratsdatenspeicherung einsetzen zu dürfen. Und wenn es - wie zu erwarten ist - nicht wirkt wie erhofft, gibt es ja den Plan B, der zum Standardrepertoire aller Innenminister gehört, wenn die Überwachungsmethoden einmal wieder nicht gereicht haben: die Forderung nach noch mehr Überwachung.

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