Mittelbayerische Zeitung: Die untote Maut
Die Infrastrukturabgabe ist gut für Wahlkämpfe. Für sonst nichts. Leitartikel von Christian Kucznierz
Regensburg (ots)
Im Volksglauben sind Untote Verstorbene, die die Lebenden heimsuchen. Das klingt gruselig, ist ins Politische übertragen aber nichts Neues. Vieles, was schon mal da war, kommt wieder. So auch die Idee der Maut auf deutschen Autobahnen. Die CSU hat sie in den 1980ern bereits haben wollen und nun, 30 Jahre später, hat sie es geschafft. Nun ja, so halb, aber zumindest trägt das Gesetz die Unterschrift des Bundespräsidenten. Dumm nur, dass Brüssel dazwischenfunkt. Wobei der CSU kaum etwas Besseres passieren konnte. Niemand sollte sich etwas vormachen: Die Maut kommt. Nur in welcher Form, das wird sich erst zeigen. Entweder behält Verkehrsminister Alexander Dobrindt Recht und die EU-Kommission scheitert mit ihrer Klage. Oder die Maut kommt in der beschlossenen Form, aber die Entlastung deutscher Autofahrer über die Kfz-Steuer muss gestrichen werden. Auch möglich ist, dass man sich nach dem jahrelangen Hickhack auf europäischer Ebene Gedenken macht über eine europaweite Abgabe für alle auf allen Autobahnen - was übrigens der gerechteste und sinnvollste Ansatz wäre. Dann wäre niemand diskriminiert und alle hätten etwas davon. Um Gerechtigkeit ging es bei der Maut ohnehin nur vordergründig. Der Ausbau und Erhalt der Infrastruktur verschlingt Milliarden. Die Steuereinnahmen reichen dafür nicht mehr. Der Staat braucht Geld. Und das bekommt er nur über neue Einnahmemodelle. Die Maut ist so eines. Österreich hat mit der Einführung der Vignette 1997 diesbezüglich gute Erfahrungen gemacht. Vor allem aber zeigt das Beispiel Österreich, dass von den Einnahmen aus der Vignette für Autos der Großteil nicht von durchreisenden Touristen gezahlt wird, sondern von den Österreichern. Das wird man auch im Hause Dobrindt wissen. Die geplante Entlastung der deutschen Autofahrer bei Einführung der Maut würde diese zusätzliche Einnahmemöglichkeit also zunichte machen. Wie gut, dass Maut und Ausgleich in zwei unterschiedlichen Gesetzen festgelegt sind. Somit lässt sich das mit der Entlastung nämlich ändern. Oder es wird auf EU-Ebene kassiert, was ein Glücksfall wäre, weil sich dann Bundesregierung und Bundestag nicht die Hände schmutzig gemacht hätten. Zudem hätte die CSU eine Steilvorlage für das, was sie selbst in Europawahlkämpfen gerne macht: die Schuld nach Brüssel abschieben. "Eine EU, die sich in die Staaten einmischt, brauchen wir nicht", schallt es von München bis Berlin, während sich die CSU-Europapolitiker Wachs in die Ohren stecken, um sich nicht aus Verzweiflung vom Straßburger Münster stürzen zu müssen. Denn das ist der Kern der Maut-Debatte: Es geht gar nicht um die Maut an sich. Sie EU-rechtskonform einzuführen, wäre überhaupt kein Problem. Siehe Österreich. Die "Infrastrukturabgabe", wie sie jetzt heißt, firmierte im CSU-Wahlkampfjargon noch unter "Ausländer-Maut". Mit dieser Art von Gerechtigkeitsdebatte lässt sich prima ein sonst politikverdrossenes Publikum, vor allem in Bayern, mobilisieren. Dass dort die Autobahnen auch deswegen übervoll und kaputt sind, weil es zum Beispiel kein Konzept gibt, um den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern: darüber redet keiner. Dass Gerechtigkeitsdebatten auch über Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende oder Migrationspolitik geführt werden können: hat gottseidank keiner gemerkt. Die Maut-Debatte ist ein Politik-Surrogat: Sie tut so, als sei sie wichtig. Ist sie nur nicht. Im Haus von Dobrindt haben monatelang Fachleute keine Mühen und vor allem keine Kosten gescheut, um ein Papier zu erarbeiten, das am Ende nichts wert sein könnte. Das Ministerium ist auch für Dinge wie die digitale Infrastruktur zuständig. Oder für Elektromobilität. Beides hätte mehrr Geld, Zeit und Engagement dringender nötig. Die Maut liegt jetzt auf Eis. Dort wird sie bleiben, bis das Verfahren mit der EU ausgefochten ist. So etwas dauert in der Regel bis zu zwei Jahre. Da ist dann Bundestagswahl. Was für ein Zufall. Manchmal kommen sie eben wieder, die Toten.
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