Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Stefan Stark zum Asyl-Streit in der Union
Regensburg (ots)
Man sollte nicht versuchen, das Stinktier zu überstinken. Mit diesem legendären Satz kommentierte der CSU-Politiker Bernd Posselt das schlechte Ergebnis seiner Partei bei der Europawahl 2014. Es war eine Anspielung auf die AfD und den Versuch von CSU-Chef Horst Seehofer, die Rechtspopulisten mit einem Anti-Europa-Wahlkampf rechts zu überholen. Damals endete diese Strategie in einem desaströsen Ergebnis für die Christsozialen, während die AfD aus dem Stand den Sprung ins EU-Parlament schaffte. In der Flüchtlingsfrage stänkert Seehofer giftiger als je zuvor. Er lobt den ungarischen Premier Viktor Orban, der einen neuen Eisernen Vorhang errichtet, als Vorbild für Deutschland. Gleichzeitig betreibt er Fundamentalopposition gegenüber dem Asylkurs von Angela Merkel. Jüngstes Beispiel: Bayern will einen Aufnahmestopp verhängen und setzt damit den Bund unter Druck. Bemerkenswert an dieser Diskussion ist auch, dass zahlreiche CDU-Politiker der Kanzlerin in den Rücken fallen. Getrieben von der Sorge um die Mehrheit in ihren Wahlkreisen bedienen die Hardliner eine "Das-Boot-ist-voll-Rhetorik". Damit erwecken die Merkel-Kritiker den verheerenden und falschen Eindruck, dass der Regierung die Kontrolle entgleitet. Die schnelle Änderung des Asylrechts, die das Kabinett gestern auf den Weg brachte, ist vielmehr ein Beleg dafür, dass die Bundesregierung richtige Schlüsse in der Flüchtlingspolitik zieht - zum Beispiel durch beschleunigte Asylverfahren und Abschiebung in sichere Herkunftsländer. Natürlich existieren Probleme, die sich nicht im Eiltempo lösen lassen. Es gibt Brennpunkte wie heillos überfüllte Notunterkünfte, in denen langsam die Nerven blank liegen. Nach wie vor beklagen Bürgermeister und Landräte, dass sie sich vom Bund im Stich gelassen fühlen. Und über allem schwebt die große Frage der Integration von Hunderttausenden oder vielleicht sogar Millionen Fremden. Keine dieser historischen Aufgaben wird von der Bundesregierung verniedlicht. Mit ihrem Satz: "Wir schaffen dass" meinte die Kanzlerin nicht, dass alle Flüchtlinge dieser Welt nach Deutschland kommen sollen - auch wenn das viele so verstehen. Vielmehr spricht daraus die Überzeugung, dass die Verantwortlichen tragfähige Lösungen finden werden. Wenigstens die Politiker der Union sollten den Fähigkeiten der deutschen Bundeskanzlerin als Krisenmanagerin mehr vertrauen als denen des Ungarn Orban. Als Merkel für eine Woche die Grenzen öffnete, herrschte ein Ausnahmezustand - nicht nur auf den Flüchtlingsrouten - sondern auch emotional. Kurz zuvor war der CDU-Chefin noch Hartherzigkeit vorgeworfen worden, weil sie ein Flüchtlingsmädchen mit der ungeschönten Wahrheit über ihre unsichere Zukunft in Deutschland zum Weinen brachte. Dann erschütterte das Foto des toten Flüchtlingsjungen am türkischen Strand die Öffentlichkeit. Dazu kam der Fund dutzender Leichen im Schleuser-Lkw auf einer österreichischen Autobahn. Als die Kanzlerin unter dem Eindruck der dramatischen Situation am Budapester Bahnhof die Grenzen öffnen ließ, was ihr jetzt angekreidet wird, ging es vorrangig darum, weitere Tragödien zu verhindern. Die Merkel Kritiker blenden diese Situation aus und bleiben die Antwort auf eine entscheidende Frage schuldig. Wenn sie das Heer der Verzweifelten, das bei uns anklopft, nicht aufnehmen wollen, was dann? Deutschland braucht jetzt eine ehrliche Debatte über den Flüchtlingsansturm, aber keine gegenseitige politische Zerfleischung. Sonst hören wir im schlimmsten Fall bald Forderungen, das Asylrecht abzuschaffen oder Kriegsflüchtlinge in Assads Hölle zurückzuschicken. Hoffentlich widerstehen die Hardliner in der Union der Versuchung, das Stinktier noch mehr überstinken zu wollen. Damit reden sie nur rechte Populisten stark.
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