Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Pascal Durain zu Flüchtlinge
Regensburg (ots)
Es vergeht kein Tag ohne eine neue Nachricht, die die deutschen Stammtische nicht erschüttert: Laut "Bild"-Zeitung kommen heuer nicht nur 800 000 Flüchtlinge nach Deutschland, sondern noch zusätzlich 920 000 im letzten Jahresquartal. Und dann droht laut dem internen Bericht, aus dem Bild zitiert, auch noch der "Zusammenbruch der Versorgung". Zwei Tage nach der Feier zur Deutschen Einheit wiederholt sich dann das neue deutsche Mantra: Wir schaffen das nicht, Frau Merkel, wir sind überfordert, wir versinken doch schon jetzt im Chaos. Gute Nacht christliches Abendland! Besorgniserregend ist tatsächlich etwas anderes. Die Bundesregierung weist die Zahlen zurück. Das ist auch wenig überraschend: Denn schon vergangene Woche hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière erklärt: "Wir haben das (den Flüchtlingszustrom) nicht vorhergesehen." Hinterher seien natürlich alle schlauer. Dass nicht nur Nichtregierungsorganisationen wie der Rat für Migration sondern auch Anrainerstaaten wie Italien oder Griechenland und selbst die EU-Kommissionen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass Europa bald eine humanitäre Katastrophe bevorsteht, ignorierte de Maizière dabei so selbstbewusst wie fahrlässig. Ebenso den Fakt, dass das Dublin-Verfahren, durch das sich europäische Binnenstaaten komfortabel vor der Aufnahme von Flüchtlingen schützen konnten, gescheitert ist, weil sich die EU-Länder gegenseitig die Schuld zuschieben. Da passt es nur zu gut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck zwar Willkommenskultur predigen, im selben Atemzug rufen sie aber nach einer stärkeren "Sicherung der europäischen Außengrenzen". Dahinter steht nichts anderes, als das europäische Problem gar nicht erst europäisch werden zu lassen. Heinrich Heine schrieb in seinem Wintermärchen von 1844: "Denke ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht." Heute würde er, der dichtende Jude, der nach Frankreich floh, wohl gar nicht mehr einschlafen. Immer mehr Flüchtlingsheime brennen, Tausende gehen gegen eine "Asylflut" auf die Straße, die Angst vor dem Fremden geht um: Wie kaum zuvor prägt in Deutschland ein Chauvinismus den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Und wie in kaum zuvor offenbart sich in der Flüchtlingspolitik Heuchelei und Feindseligkeit. Beispiel gefällig? Heimatminister Markus Söder (CSU), der eben noch das Grundrecht auf Asyl außer Kraft setzen wollte: "Vielleicht hätten wir die 86 Milliarden Euro für Griechenland besser in den massiven Schutz der Grenzbereiche investiert." Oder CDU-Vize und Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl: "Die Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der Prophet, die macht bei uns in Deutschland das Parlament." Strobl Richtung Balkan: "Wir werden euch schnell wieder zurückschicken. (...) Ihr werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid, nur ihr werdet noch ärmer sein." Das ist nicht nur anmaßend; das ist rassistisch und bedient eine Pegida-Logik: Wir, die ja aus Ruinen auferstanden sind, gegen die "Wirtschaftsflüchtlinge", die "unsere Sozialkassen plündern". Dass Deutschland und Europa vor einer wachsenden humanitären Herausforderung stehen, steht unbestreitbar fest. Behörden und Kommunen sind überfordert. Aber wie reagiert die Politik? Das Asylrecht soll umfassend eingeschränkt werden, rechtsfreie Räume geschaffen (Transitzonen) und schnell eine Obergrenze festgelegt werden. Die Grenzen sind schon dicht. Staaten, die nicht sicher sind wurden bereits wieder besseren Wissens als sicher eingestuft - oder sind kurz davor, siehe Türkei. Es ist wieder kalt in Deutschland. Man muss sich nur eines fragen: Was ist die Alternative, wenn wir uns dieser Verantwortung in der Flüchtlingskrise nicht stellen? In Artikel 16a Grundgesetz heißt es: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Grundrechte sind nicht verhandelbar. Wer das ernsthaft fordert, legt die Axt an die Werte an, die wir von den Flüchtlingen zu achten einfordern.
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