Mittelbayerische Zeitung: Fast leere Hände
Die Kanzlerin bringt nur vage Ankündigungen vom
Brüsseler Gipfel mit. Das reicht Seehofer nicht. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Das Schneckentempo sei das normale Tempo in der Demokratie, meinte einst der von Angela Merkel hoch geschätzte Altkanzler Helmut Schmidt. Gegen das Tempo des Brüsseler EU-Gipfels in den vergangenen zwei Tagen wäre jede Schnecke jedoch ein Usain Bolt. Keinen Millimeter ist Merkel mit ihrem Plan voran gekommen, zusammen mit Ankara den Strom der Flüchtlinge aus Syrien einzudämmen und die griechischen Küsten nicht mehr zum Einfallstor nach Europa, vor allem nach Deutschland, zu machen. Dass Merkel jetzt mit fast leeren Händen nach Berlin zurückkommt, hat allerdings nicht nur mit dem blutigen Attentat von Ankara zu tun, nach dem der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu die Reise nach Brüssel zu Recht absagte. Vorerst gescheitert ist Merkel zuerst an der tiefen Kluft innerhalb der 28er-Gemeinschaft selbst. Die Koalition der Willigen, die mit Merkel eigentlich vorangehen und Humanität zeigen wollte, kann sich inzwischen in einer Telefonzelle treffen. Die Unwilligen hingegen, von Ungarn, Tschechien, Slowakei bis Polen oder Dänemark, stehen in Klassenstärke daneben, zeigen den Flüchtlingen die kalte Schulter oder rollen Stacheldraht aus. Wenn diese dramatische Kluft in den nächsten Monaten nicht überbrückt werden kann, könnte das geeinte Europa vor die Hunde gehen. Die Idee der gemeinsamen Werte droht bereits, vom rasant um sich greifenden Nationalismus untergepflügt zu werden. Freilich verweist die deutsche Kanzlerin darauf, dass es schon Anfang März einen EU-Türkei-Gipfel geben wird. Sie mag darauf hoffen, dass zumindest davon ein Signal noch vor den drei wichtigen Landtagswahlen in Deutschland ausgesandt werden kann. Doch auch vom nächsten EU-Türkei-Gipfel sind keine Wunderdinge zu erwarten. Die vagen Ankündigungen, die Merkel aus der belgischen Hauptstadt jetzt mit nach Berlin bringt, werden Horst Seehofer nicht dazu bewegen, sein Störfeuer gegen die Kanzlerin einzustellen. Erst recht wird der Strom der Flüchtlinge nicht abebben. Und schließlich werden Rechtspopulisten und Flüchtlingshasser keine Ruhe geben. Von den immer drängenden Unterbrinungs-, Versorgungs- und Integrationsproblemen ganz zu schweigen, die den Kommunen und Landkreisen aufgebürdet werden. Dass der CSU-Chef nach dem höchst unbefriedigenden Ergebnis von Brüssel nun ein rasches Treffen der drei Koalitionsspitzen verlangt, ist nur recht und billig. Merkel, Seehofer und Gabriel müssen sich zusammensetzen und klären, was Deutschland nun tun kann. Aber wichtiger noch ist, dass die drei Parteichefs erklären, ob sie alle Merkels internationalen Ansatz noch mittragen. Zumindest beim CSU-Chef kann man sich da nicht mehr sicher sein. Seine Drohung, Merkels Regierung, an der die Christsozialen bekanntlich selbst beteiligt sind, notfalls in Karlsruhe zu verklagen, hängt immer noch wie ein Damoklesschwert in der Luft. Die Krux dabei ist freilich, dass die deutsche Lösung nicht jene von Viktor Orban, dem ungarischen Premier, sein kann. Auch mit Stacheldraht und noch mehr Beamten sind die deutschen Grenzen nicht völlig dicht zu bekommen. Das haben bekanntlich nicht einmal Ulbricht und Honecker geschafft. Die Frage ist vielmehr, wie der Zustrom über das Mittelmeer halbwegs eingedämmt werden kann. Ohne dass in Syrien die Waffen schweigen, die Menschen wieder zu essen bekommen und einfach wieder leben können, ist das vielschichtige Flüchtlingsproblem nicht in den Griff zu bekommen. Russlands Bomben, Assads Granaten die türkischen Vergeltungsmaßnahmen gegen Kurden und nicht zuletzt die Brutalitäten des sogenannten Islamischen Staates, sorgen indes für immer neue Flüchtlinge. Wer jetzt sagt, es gebe einfache, nationale Lösungen, die man nur wie einen Lichtschalter anzutippen braucht, der ist ein Ignorant oder ein Lügner.
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