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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Reform des Sexualstrafrechts

Regensburg (ots)

Ein Meilenstein

von Sebastian Heinrich

Der Bundestag hat die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Paragraf 177 des Strafgesetzbuchs wird - wenn der Bundesrat zustimmt - überarbeitet, künftig soll der Grundsatz "Nein heißt Nein" gelten. Diese Reform ist ein Meilenstein, weil sie am vorläufigen Ende einer jahrzehntelangen Entwicklung steht: Politik und Gesellschaft haben Vergewaltigung und sexuelle Belästigung aus der gesellschaftlichen Tabuzone herausgeholt - und sie ins Zentrum der öffentlichen Debatte gestellt. Es wird offen diskutiert: über das körperliche und seelische Leid der Opfer; über die widerwärtige Arroganz der - ganz überwiegend männlichen - Täter; über die gesellschaftliche Verantwortung, die sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen in diesem Land zu schützen, immer und überall. Überhaupt, die sexuelle Selbstbestimmung: Dass dieses individuelle Recht - das sich aus den zwei ersten Artikeln des Grundgesetzes ableitet - überhaupt so stark betont wird, ist keine Selbstverständlichkeit. Im deutschen Strafgesetzbuch hieß der Abschnitt mit den Paragrafen zu sexueller Gewalt noch bis 1973 "Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit": Also etwas, das zuallererst die öffentliche Moral störte. Dass Vergewaltigungen das Leben der Opfer ruinierten, war lange zweitrangig. Jetzt hat der Bundestag dem "Nein heißt Nein"-Prinzip zugestimmt. Einstimmig. Das ist bemerkenswert. Als die Abgeordneten vor zwanzig Jahren darüber diskutierten, ob Vergewaltigung unter Eheleuten strafrechtlich genauso bewertet werden sollte wie unter Nicht-Verheirateten, gab es in CDU und CSU noch erheblichen Widerstand. Einige Abgeordnete argumentierten damals noch, ein Ehemann könne jederzeit sexuell über seine Frau verfügen. Gegenüber diesen Kollegen müsse man "Nachsicht" üben, meinte 1995 CDU-Mann Werner Eylmann in einem Spiegel-Interview. Er beklagte auch: "Noch vor ein paar Jahren haben hochrangige Juristen gesagt: Die Vergewaltigung in der Ehe dürfe nicht bestraft werden, denn der Mann hole sich doch nur, was die Frau ihm schulde." Als der Bundestag zwei Jahre später über die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe abstimmte, votierten prominente Konservative wie Horst Seehofer, Volker Kauder und Gerda Hasselfeldt dagegen. Auch das zeigt, wie weitreichend die Fortschritte der deutschen Gesellschaft beim Schutz der sexuellen Selbstbestimmung sind. Und wie sehr sie es wert sind, verteidigt zu werden. Wie bitter nötig diese Verteidigung ist, haben die Übergriffe der Kölner Silvesternacht auf erschreckende Weise klar gemacht. Die nun verabschiedete Reform hat sehr viel zu tun mit der massenhaften sexuellen Gewalt gegen Frauen in jener Nacht. So sehr manche Politiker das leugnen: Erst nach Köln wurde der breiten Öffentlichkeit klar, dass es da eine Gesetzeslücke gab, die man schließen musste. Die Reform ist immerhin eine positive Folge von Köln. Jetzt gibt es den "Grapschparagraphen", unter den unerwünschte Griffe in den Intimbereich - im öffentlichen oder nicht-öffentlichen Raum - fallen. Ein fader Beigeschmack: Mit dem neuen Straftatbestand sexueller Übergriffe "aus Gruppen" soll künftig auch ein Mensch unter Strafe gestellt werden können, der selbst nicht sexuell übergriffig geworden ist. Das zeigt, dass auch in dieser grundsätzlich sehr positiven Reform zu viel Aktionismus steckt. Wie wirksam das neue Sexualstrafrecht sein wird, wie stark es Frauen ermutigt, sexuelle Gewalt anzuzeigen, wird sich in den nächsten Jahren vor Gericht zeigen. Es gibt Einwände, auch von renommierten Juristen, dass die Reform dazu führen wird, dass nun immer mehr Menschen wegen erfundener sexueller Übergriffe anzeigt werden, um deren Existenz zu vernichten. Selbst wenn das so wäre: Über Schuld oder Unschuld müssen nach wie vor Richter entscheiden, anhand von Beweisen und Indizien. Und im Zweifel werden sie auch in Zukunft für den Angeklagten entscheiden.

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