Mittelbayerische Zeitung: Land der Rodler und Reiter - Der deutsche Sport sucht seine Nische. Wie wär's mit dem Gütesiegel Sauberkeit und Ehrlichkeit? Von Heinz Gläser
Regensburg (ots)
Beim atemlosen Hin- und Herhüpfen des Fernsehens zwischen den einzelnen sportlichen Schauplätzen reihte sich in der Regel eine Enttäuschung an die andere: Frust im Schwimmbecken, Ärger auf der Planche, Ernüchterung auf der Judomatte. Rio de Janeiro war für viele deutsche Athleten, zumindest jene, die Medaillenhoffnungen hegten, keine Reise wert. Das böse Wort Debakel hatte in den ersten Olympia-Tagen Hochkonjunktur. Die Funktionärsriege wurde derweil nicht müde, Ausdauer zu predigen: Gemach, das wird schon noch - wie in London 2012. Mag sein, und tatsächlich nimmt das Unternehmen Gold, Silber oder Bronze nun Fahrt auf. Dennoch spiegeln die Sommerspiele in Brasilien den Trend seit der Wiedervereinigung wider. Seit das Erbe der pharmazeutischen Muskelmast diesseits und jenseits der Mauer aufgezehrt ist, leidet die deutsche Medaillenbilanz an Schwindsucht. Vor fast genau zehn Jahren überwand der Sport hierzulande den jahrzehntelangen Dualismus und bündelte in der neuen Dachorganisation DOSB den Breiten- und Spitzensport. Ein Ruck sollte durch die Welt der Leibesübungen gehen, doch der Kraftakt trug allein den Berufsfunktionär Thomas Bach an die Spitze des Internationalen Olympischen Komitee - und verpuffte auf der Ebene des Leistungssports. Dort herrscht viel Klein-Klein, Eitelkeit und Starrsinn sind zentrale Trainingsinhalte. Derweil grassiert im Land der Fußballwahn, und der Restsport nährt sich mühsam von der wenigen Brosamen, die vom Tisch von König Fußball fallen. Vor dem Hintergrund dieser drohenden sportlichen Monokultur fällt die bislang durchwachsene Medaillenbilanz unter dem Zuckerhut wie befürchtet aus. Hinter den Kulissen ist freilich auch zu hören: wie erhofft! Denn von Rio de Janeiro könnte auch ein Signal ausgehen. Diese Sommerspiele liefern den Anlass, eine überfällige Grundsatzdebatte über den Wert des Leistungssports in Deutschland zu führen. Dieser sucht sich im globalen Vergleich zunehmend Erfolg versprechende Nischen. Nichts gegen Rodler oder Reiter, aber in ihren Disziplinen ist die internationale Konkurrenz wegen des Aufwands für die Wettkampfstätten und die Sportgeräte (Schlitten wie Pferde) extrem überschaubar. In der Politik herrscht derweil die Tendenz vor, die spärlichen Mittel auf solche vermeintlichen Medaillenbänke zu konzentrieren, also die sprichwörtliche Gießkanne in die Ecke zu stellen und den sonstigen Spitzensport auszutrocknen. Das kann nicht der Weg sein. Die dringend notwendige Vorbildfunktion populärer, breitenwirksamer Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen bliebe auf der Strecke. Das wohlfeile Motto "Zurück in die Zukunft" würde indes ebenfalls in eine Sackgasse führen. Der die Nachkriegszeit beherrschende Systemwettstreit zwischen Ost und West, der im aktuellen Ringen der USA mit China um die olympische Dominanz eine Renaissance erlebt, führte ja erst zu jenen Exzessen der Leistungsmanipulation, die den Sport bis heute diskreditieren. Der organisierte deutsche Sport steht nach Rio am Scheideweg. Die donnernde Abfuhr aus der Bevölkerung für Sommer- wie Winterspiele im Land hallt ohnehin nach. Positionierung tut not, womöglich auch personeller Natur. Das betrifft primär die Zukunft des umstrittenen DOSB-Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper. Die Nische ist de facto bereits klar definiert: Deutschland will für sauberen, ehrlichen, nachhaltigen Sport stehen. Dieses Gütesiegel gilt es national wie international offen und offensiv zu kommunizieren, statt einen Zweitwohnsitz im Schmollwinkel zu beziehen. Die Medaillenbilanz wäre dann nur noch ein Randaspekt. Freilich braucht man für diese Positionierung einen langen Atem. Aber der schadet im Sport bekanntlich nie.
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