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Mittelbayerische Zeitung: Verlorene Leichtigkeit
George W. Bush sagte nach 9/11, der Anti-Terror-Kampf werde eine Generation dauern. Er hat sich vertan.

Regensburg (ots)

Am 15. Jahrestag der Anschläge auf New York und Washington gilt es, zwei Entwicklungen nüchtern festzuhalten. Niemand mit ungetrübter Sinneswahrnehmung kann ernsthaft behaupten, ein Sieg über den islamistischen Extremismus sei in greifbarer Nähe. Im Gegenteil gehört die Auseinandersetzung mit dem Terror heute zur Lebenswirklichkeit unserer westlichen Gesellschaften. Beides erlaubt nicht, zur Tagesordnung überzugehen. Die Sensibilität dafür scheint zurzeit in Europa akuter zu sein als in den USA. Kaum anders lässt sich erklären, warum der 15. Jahrestag der Anschläge vom 11. September den alten Kontinent so viel mehr beschäftigt als die amerikanische Öffentlichkeit. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Wie jedes Jahr wird auch diesmal wieder der mehr als 3000 Toten der Anschläge auf die Symbole der amerikanischen Macht gedacht werden. Inklusive einer Ansprache des US-Präsidenten Obama im Pentagon, einer Zeremonie an Ground Zero und in Shanksville, Pennsylvania, wo der United-Flug mit der Nummer 93 nach einem Aufstand an Bord in einem Acker endete. Aber der 15. Jahrestag wird kaum anders begangen als der vierzehnte oder der dreizehnte. Das Erinnern an den Terror vom 11. September ist in den USA eine Generation später so sehr Routine geworden, wie die massiven Sicherheitsvorkehrungen Teil des Alltags sind. Die junge Generation von Amerikanern kann sich an keine andere Realität erinnern als an ein Leben mit der terroristischen Gefahr. In Europa haben die Anschläge von Paris und Brüssel das Bewusstsein für den Ernst der Lage deutlich geschärft. Vom 11. September geht eine düsterere Faszination aus, die gleichzeitig die besonderen Befindlichkeiten von Gesellschaften reflektieren, die sich plötzlich ganz direkt herausgefordert fühlen. Verbunden mit dem zuweilen als bedrohlich empfundenen Zustrom an Kriegsflüchtlingen aus Syrien ging auch in Europa das Gefühl der Leichtigkeit verloren, das die USA schon vor fünfzehn Jahren verlassen hat. Sowohl für Europa als auch für die USA bleibt die gemeinsame Herausforderung, dem Terrorismus das Wasser abzugraben und die Gefahr zu bannen, Osama bin Laden einen posthumen Sieg zu bereiten. Die Erben des Terrorfürsten der El-Kaida und deren Verwandte der Taliban, Boko Harams, Al-Shababs und des Islamischen Staats wünschten sich nichts mehr als einen Krieg der Zivilisationen. Die blondierten Rechtspopulisten vom Amerikaner Donald Trump über die Französin Marine Le Pen bis zum Niederländer Geert Wilders machen sich mit ihren pauschalen Verunglimpfungen einer Religion zu Erfüllungsgehilfen islamistischer Fieberträume. Tatsächlich kann der Terror nur mit Hilfe gut integrierter Muslime in den westlichen Staaten und dem Aufbau von Zivilgesellschaften in der Region überwunden werden. Der Einsatz militärischer Gewalt ist nötig, die Symptome zu bekämpfen. Kurieren lässt sich dieses Krebsleiden dadurch aber nicht. Fünfzehn Jahre nach dem 11. September bleibt die Erkenntnis, dass eine Generation nicht ausreichte, die vielfältigen Quellen, aus denen sich der islamistische Terror speist, trockenzulegen. Ohne wirtschaftliche Chancen, religiöse Toleranz, soziale Gerechtigkeit, ethnische Vielfalt und politische Teilhabe wird das nicht gelingen. Diese Herausforderung verlangt Geduld, Vernunft und Ausdauer - ein Prozess, der nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte braucht. Und ein gutes Vorbild in den westlichen Gesellschaften.

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