Mittelbayerische Zeitung: Ein Grund zur Freude - Die wirtschaftlichen Daten sind so gut wie lange nicht. Dennoch verspielt die Politik ihren Kredit. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Sagt, ist noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen? So spottete der Meister der Aphorismen Georg Christoph Lichtenberg schon vor über 200 Jahren. Aber hat er nicht auch heute noch Recht mit seinem sarkastischen Spruch? Die wirtschaftliche Lage im seit nunmehr 26 Jahren wieder vereinten Deutschland ist so gut wie nie. Der Export brummt und der inländische Konsum floriert, wie lange nicht mehr. Die Beschäftigung erreicht Rekordwerte und auf der anderen Seite ist die Arbeitslosigkeit erfreulicherweise gesunken. Es wird in Straßen, Brücken, Schienen und Wasserwege investiert wie noch nie, was freilich auch dringend nötig ist nach über zwei Jahrzehnten des Zehrens von der Substanz im Westen. Auch die Steuereinnahmen sprudeln, so dass die öffentliche Hand daran gehen kann, vom riesigen Schuldenberg der vergangenen Jahrzehnte etwas abzutragen. Selbst die größte Herausforderung des vergangenen Jahres, rund eine Million Flüchtlinge im Land, scheint, trotz aller Probleme, die man nicht kleinreden darf, lösbar. Die Kontroll- und Registrierungslecks an den Grenzen wurden abgedichtet. Mit diesen Fakten im Rücken hätte Deutschland eigentlich allen Grund, sich zu freuen, stolz darauf zu sein, was wir alle geschafft haben. Viele andere Länder auf der Welt beneiden uns: Eure Problem möchten wir haben! Auf der anderen Seite jedoch gibt es eine weit verbreitete Schwarzmalerei, viele bohrende Fragen, tiefe Zweifel, bitteren Mißmut, sogar abgrundtiefen Hass. Auf "die da oben", die Regierung, auf die Politik ganz allgemein. Merkel muss weg. Wäre Deutschland ein einziger Mensch, er müsste dringend in psychiatrische Behandlung. Verdacht auf gespaltene Persönlichkeit. Allerdings sind die Deutschen kein Volk von Neurotikern, sondern in ihrer großen Mehrheit anpackende Zeitgenossen, die etwas leisten wollen, im Beruf, für ihre Familien, für die Gemeinschaft. Auch für Fremde, wie die Tausenden ehrenamtlichen Helfer der Flüchtlinge zeigen. Allerdings ist in den vergangenen Monaten eine Art gestörte Verbindung, eine unterbrochene Kommunikation zwischen Politik und übriger Bevölkerung zu beobachten, teilweise fast schon eine Entfremdung. Manche meinen, das gab es schon immer. Doch in den letzten zwölf Monaten hat sich diese Entwicklung rasant beschleunigt. Und das hat viele Ursachen. Nicht nur Merkels umstrittene Flüchtlingspolitik. Die Kriege im Nahen Osten, islamistischer Terror, der nun auch direkt Deutschland erreicht hat. Dass es kaum noch Geld für die eigenen Ersparnisse auf der Bank gibt, gehört ebenso zu dieser Melange der Bedrohungen wie die Unsicherheit im Euro-Raum, Griechenlands nicht ausgestandene Krise und der Brexit der Briten, von dem niemand weiß, wie er genau ausgeht. Oder die ziemlich unheilvolle Aussicht, dass der nächste US-Präsident Donald Trump heißen könnte. Trotz objektiv relativ guter Lage im Land besagen bei vielen Menschen die Gefühle etwas anderes, Zukunftserwartungen verdüstern sich. Aber auch das ist freilich kein pathologischer Zustand, sondern man/frau kann etwas dagegen tun. Die Menschen wollen, dass sie mit ihren Sorgen ernst genommen werden, dass ernsthaft nach Lösungen gesucht wird, statt in Kesselflickermanier parteipolitisch aufeinander einzuschlagen. Die Schelte an die Adresse der rechtspopulistischen AfD ist dabei zum Teil wohlfeil. Die Protestpartei stößt nur in jene Lücken, die ihnen andere Parteien lassen. Die etablierte Politik ist zurzeit leider dabei, ihr Grundkapital zu verlieren - das Vertrauen der Bürger.
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