Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur SPD: Die Qual vor der Wahl von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Die Sozialdemokraten haben noch vor der Bundestagswahl im September 2017 die Qual der Wahl. Sie müssen nämlich einen geeigneten Kanzlerkandidaten bestimmen, der die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel auch wirklich herausfordert. Bei den vergangenen drei Bundestagswahlen waren SPD-Kanzlerkandidaten doch eher Statisten. Vor allem Steinmeier und Steinbrück hatten im Grunde nur die Aufgabe, halbwegs ehrenvoll gegen die CDU-Chefin zu verlieren. Das Kandidatenamt, oder vielleicht richtiger die Kandidatenbürde, wurden seinerzeit auch ziemlich würdelos ausgekungelt. Über die Kandidatur von Frank-Walter Steinmeier strauchelte sogar der damalige Parteivorsitzende Kurt Beck. Und der ebenfalls glücklose Ex-Finanzminister und Schachspieler Peer Steinbrück durfte nur ran, weil Parteichef Sigmar Gabriel keinerlei Chancen sah, Merkel zu besiegen. Die SPD-Wahlergebnisse waren entsprechend enttäuschend. Sie wurden von Merkel mattgesetzt. Nun allerdings stehen die Dinge anders. Das liegt vor allem daran, dass die Langzeit-Kanzlerin nicht mehr unangreifbar scheint. Die Flüchtlingskrise, der Dauerstreit mit der bayerischen Schwesterpartei über Obergrenzen, der schleichende Machtverlust in Europa etc. haben Merkel zugesetzt. Zum anderen hat die SPD mittlerweile zwei Kandidaten, die für die Spitzenkandidatur infrage kommen. Dennoch, egal ob am Ende Sigmar Gabriel oder Martin Schulz das Rennen machen wird, gegen Merkel wird es jeder SPD-Herausforderer schwer haben. Die Kanzlerin ist zwar angeschlagen, aber noch lange nicht geschlagen. Und sie hat mit ihrer - keineswegs überraschenden - vierten Bewerbung ums höchste Regierungsamt deutlich gemacht, dass sie kämpfen will. Die Sozialdemokraten haben nun die Wahl zwischen zwei verschiedenen Charakteren. Einig sind beide jedoch in ihrem Willen zur Macht. Martin Schulz liebt es deftig. Zum Frühstück darf es Ei mit Schinken sein. In politischen Auseinandersetzungen redet der Chef des Europaparlaments schon mal, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Mit dem früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi führte er ein hitziges Wortgefecht vor dem EU-Parlament. Das machte Schulz schlagartig international bekannt. Klartext spricht der gelernte Buchhändler auch in Bezug auf den türkischen Präsidenten. Und in Israel ist er schon mal ins diplomatische Fettnäpfchen getreten. Dennoch ist der SPD-Mann derzeit fast so etwas wie der Bernie Sanders der SPD. Schulz gilt, trotz vieler Jahrzehnte im politischen Geschäft, als einer der scheinbar nicht zum "Establishment", zur politischen Klasse, gehören würde. Er ist zudem vielen Wählern und Wählerinnen in Deutschland kaum bekannt. Das muss allerdings kein Nachteil sein, wenn er wirklich Merkels Herausforderer würde. Die Union müsste sich etwas einfallen lassen, womit sie den in unzähligen Debatten gestählten Europapolitiker Paroli bieten, ihn stellen kann. Bei Sigmar Gabriel, der als Parteichef den "ersten Zugriff" auf die Kanzlerkandidatur hat, wäre das für die Union vermutlich einfacher. Sie könnte ihn mit seiner Sprunghaftigkeit, mit seinem Schielen nach Links, mit seiner Option auf eine rot-rot-grüne Koalition, mit seiner angebliche Nähe zu Putin und anderem mehr piesacken. Andererseits ist Gabriel auch kein Leichtmatrose, der sich von Merkel von Decken pusten ließe. Der SPD-Chef könnte immerhin auf SPD-Projekte verweisen, die in dieser Periode umgesetzt worden sind, vom Mindestlohn bis zur Rente mit 63. Noch allerdings gilt für Schulz wie für Gabriels Pläne das Prinzip Überraschungsei: man weiß nicht, was drin steckt.
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