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Mittelbayerische Zeitung: Mit zweierlei Maß
Mit welchem Recht mischen sich Deutschland und die EU in der Türkei ein und üben Kritik an Erdogan?

Regensburg (ots)

Immer wieder die Türkei! Inzwischen vergeht kein Tag mehr ohne Nachrichten aus bzw. über das Land am Bosporus. Längst gibt es kaum eine Nachrichtensendung, in der nicht der Name von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan fällt. Spätestens seit dem gescheiterten Militärputsch - und den Folgen - werden deutsche und europäische Politiker nicht müde, mit dem Finger gen Osten zu zeigen und rechtsstaatliche Standards einzufordern. Andernfalls würden sie dem Land und dem vermeintlichen Despoten bei den EU-Beitrittsverhandlungen den Stuhl vor die Tür stellen, drohen sie unverhohlen. Warum eigentlich - und mit welchem Recht? Weil die türkische Regierung im Umgang mit Kritikern und Journalisten deutlich über die Stränge schlägt. Weil die Obrigkeit im - asiatischen - Ankara europäische Werte nicht hoch genug hält. Weil es Präsident Erdogan oftmals weder mit demokratischen Spielregeln noch seiner Wortwahl so genau nimmt. Und weil er jetzt sogar mit dem Gedanken spielt, in seinem Land die Todesstrafe wieder einzuführen. Auf Neudeutsch alles sogenannte No-Gos! Akzeptiert! Die Vorwürfe sind sicherlich nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern aus westlicher Sicht wohl zutreffend, das Abwägen von Sanktionen mithin zulässig. Aber was machen die Regierungschefs der EU-Staaten und die Institutionen in Brüssel dann mit Russlands Präsident Wladimir Putin? Verfolgt er seine Gegner nicht mit ähnlicher Härte? Oder mit den eigenen Mitgliedsländern Polen und Ungarn? Wie ist es denn dort in jüngster Zeit um die Demokratie bestellt? Bliebe zuletzt noch Donald Trump und die USA in Gänze? Werden dort nicht beinahe täglich Menschen hingerichtet? Und noch eine Frage: Messen Deutschland und Europa im Hinblick auf die Türkei nicht mit zweierlei Maß? Der dortige Staatspräsident wurde in freien und demokratischen Wahlen in dieses Amt gehievt - schon vergessen? Im August 2014 erhielt Recep Tayyip Erdogan trotz zweier Gegenkandidaten gleich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit von 51,8 Prozent der Stimmen. Es war übrigens das erste Mal, dass die Türken ihr Staatsoberhaupt direkt wählen konnten, über Erdogans Vorgänger Abdullah Gül war 2007 noch vom Parlament abgestimmt worden. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums in der Türkei war die Vorgehensweise der regierenden AKP freilich wenig glücklich - um es sehr vorsichtig zu formulieren. Und es kam auch zu Ungereimtheiten, zu einem Wahlbetrug wohl aber nicht. Das denkbar knappe Ergebnis von 51,4 Prozent darf daher von anderen Staaten sehr wohl kommentiert werden - mehr aber auch nicht. Was würde die deutsche Öffentlichkeit dazu sagen, wenn Schawkat Mirsijojew - er ist Staatspräsident Usbekistans - nach der Bundestagswahl im September verlautbaren würde, dass im Vorfeld nicht alle Parteien dieselben Voraussetzungen gehabt hätten, weil nicht alle Spitzenkandidaten an Fernseh-Duellen teilnehmen durften, die großen Volksparteien eine höhere Wahlkampfkostenerstattung erhielten und der Urnengang somit fragwürdig sei. Wahrscheinlich würde man ihm gewisse Extremitäten zeigen und ihn - mindestens - in die Wüste Gobi wünschen. Nun sind Merkel und ihre Kollegen aus den europäischen Hauptstädten vielleicht nicht Mirsijojew - mehr Rechte haben sie deshalb aber auch nicht. Sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen - wie es vor allem bekannte Zeitgenossen aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten nur allzu gerne tun - bedeutet auch, sich über andere zu erheben. Oder wie es Erdogan formulierte: "Wir können der Europäischen Union nicht erlauben, über die Ergebnisse der Volksabstimmung vom 16. April die Demokratie unseres Landes infrage zu stellen." Die türkische Nation habe ihren Willen zum Ausdruck gebracht, den jeder respektieren müsse. Damit hat er Recht.

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