Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Automobilindustrie: Mobilitätsverzug von Manfred Sauerer
Regensburg (ots)
Nach einer Woche mit dem Diesel-Gipfel und der Angst um eine deutsche Schlüsselindustrie lohnt es, grundsätzlich auf das Thema Mobilität zu blicken. Zwar richten deutsche Automobilbauer in ihren großen Entwicklungszentren seit geraumer Zeit auch stets ein kleines Büro ein, in dem über Mobilitätskonzepte gebrütet wird. Die längst eingezogene digitale Ära verführt die Konzerne aber immer noch dazu, die Budgets eher in Richtung autonomes Fahren oder neue Modellentwicklung mit Sensor-Armee und vollumfänglicher Kommunikationszentrale zu lenken. Wie kann die notwendige Mobilität der Menschen organisiert werden? Da rückt zunächst die Frage nach den Antriebssystemen der Zukunft in den Fokus. Die Ziele des Klimaschutzabkommens von Paris sind deutlich: Der Verkehr muss über kurz oder lang ohne die fossilen Brennstoffe auskommen. Bis 2050 sollen die Maßnahmen zum Klimaschutz voll greifen. Die Politik in Deutschland sieht sich zudem nach wie vor der beschlossenen Energiewende verpflichtet. Zwar ist der Verkehr nicht der einzige Produzent von Treibhausgas, aber ohne durchgreifende Wende im Autobau wird es auch keine Energiewende geben. Das gilt auch anders herum: Je mehr alternative Energie produziert und vernünftig gespeichert werden kann, desto sauberer werden Luft und Atmosphäre etwa durch den Einsatz von Elektromotoren. Zu denen wird es mittelfristig kaum eine Alternative geben. Die damit einhergehenden Probleme, also zu geringe Reichweite, fehlende Ladestationen und hohe Preise sollten in einem Zusammenspiel von Industrie und Politik zu lösen sein. Man muss nur wollen. Und bis dahin kann sogar der Diesel helfen, wenn dessen Besteuerung derjenigen von Benzinmotoren angeglichen wird. Denn Dieselaggregate stoßen weniger CO2 aus. Ja, und wenn die Fahrzeughersteller echte technische Lösungen bieten statt die klaffende Abgas-Wunde mit einem kleinen Software-Pflaster zu versorgen. Man mag einwenden, dass die Batterien der Elektroautos nach ihrem Lebenszyklus selbst zum Umweltproblem werden könnten. Das träfe aber nur dann ein, wenn eben kein vernünftiger Masterplan für die Mobilitätswende verfolgt würde. Zu einem solchen gehört neben vernünftigen Richtlinien durch die Politik eben auch das umfassende Recycling von Antriebsbatterien. Und die Arbeitsplätze rund um den Fahrzeugbau in Deutschland? 600 000 stehen im Feuer, rechnete unlängst das von der Automobilindustrie beauftragte ifo-Institut aus. Wodurch sind diese Jobs mehr gefährdet? Durch ein "Weiter so!" mit halbherzigen Innovationsansätzen oder durch einen grundlegenden industriellen Strukturwandel? Die ifo-Studie sagt auch: "Ob tatsächlich Arbeitsplätze in diesem Umfang wegfallen würden, hängt von der Anpassungsfähigkeit der Autohersteller und Zulieferer ab." Christian Hochfeld, Direktor der stiftungsfinanzierten Denkfabrik "Agora Verkehrswende", fragt zu Recht, ob die deutsche Automobilindustrie weltweit führend bleiben wird, wenn sie zuhause noch lange auf die Weiterentwicklung des Verbrenners setzt. China verlangt schon Quoten emissionsfreier Fahrzeuge, Indien will ab 2030 nur noch Elektrofahrzeuge zulassen. 2030 bis 2040 werde sich wohl zeigen, wer auf dem Automarkt zukünftig eine größere Rolle spielen darf. Zur Mobilität der Zukunft gehört auch, Städte vor dem Verkehrsinfarkt und ihr Bewohner vor giftigen Abgasen zu schützen. Zwar sinkt die Führerschein-Quote junger Menschen in den Ballungsräumen dramatisch und wird Car-Sharing mehr und mehr in Anspruch genommen. Die großen Autobauer reagieren darauf immerhin mit der Bereitstellung von Kleinwagen-Flotten. Um die Stadtluft aber sauberer zu bekommen, muss der öffentliche Nahverkehr komplett auf Elektro umgestellt werden, müssen Taxiunternehmer Ihre Kunden mit Elektroautos auskömmlich befördern können, müssen Pendler am Stadtrand abgeholt und der Schwerlastverkehr intelligent geführt werden. Wir sind bereits in der mobilen Zukunft angekommen. Fatal, dass Diesel-Betrugsskandal und Kartellverdacht die deutschen Autobauer gerade jetzt ins Zwielicht bringen. Vernunft und kluge Strategien müssen sowohl in den Konzernen also auch in der politischen Vorgabe rasch Einzug halten. Man darf nach dieser Woche aber durchaus skeptisch sein.
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