Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Bundestagswahlkampf der AfD, Autorin: Christine Schröpf
Regensburg (ots)
Ab heute verbleiben den Parteien bis zur Öffnung der Wahllokale rund 300 Stunden, um Wähler von sich zu überzeugen. Der Endspurt vollzieht sich in unwägbaren politischen Zeiten. Größte Unbekannte bleibt das Abschneiden der AfD, das die Meinungsforschungsinstitute trotz dicht getakteter Umfragen nicht mit letzter Gewissheit vorauszusagen wagen. Ein Ausschlag nach oben würde nicht überraschen. Denn bei der AfD scheinen die üblichen Gesetzmäßigkeiten des politischen Betriebs außer Kraft gesetzt. Verbale Entgleisungen und Skandale führender Repräsentanten bringen den harten Kern der Anhänger offenkundig nicht zum Umdenken. Im Gegenteil. Sie bestärken sie in der Einschätzung, dass den Skandalfiguren ihrer Partei - von Alexander Gauland über Björn Höcke bis Alice Weidel - von der politischen Konkurrenz und den Medien übel mitgespielt wird. Ein skurriler Effekt, der schon 2016 im US-Wahlkampf im Trump-Lager zu beobachten war. Dort ist inzwischen ein kleiner Teil der Anhänger erwacht. Ein bitterer Lernprozess, der hierzulande erst bevorsteht. Ignorieren oder attackieren? Den etablierten Parteien ist es bislang kaum gelungen, das Phänomen AfD in den Griff zu bekommen. Das gilt selbst für die CSU, auch wenn sich die bayerische Regierungspartei in Umfragen im Vergleich am stabilsten hält. Dennoch bringt es die AfD im Freistaat in Umfragen auf acht Prozent. Der Straußsche Lehrsatz, wonach es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben darf, ist de facto ausgehebelt. Die AfD fischt in allen Lagern. Bangen müssen SPD und Grüne: Ein Alarmzeichen ist, dass sich aktuell über 40 Prozent der Anhänger beider Parteien laut neuem Bayerntrend nicht sicher sind, ob sie dieses Mal ihrer politischen Heimat treu bleiben. SPD und Grüne laufen damit Gefahr, Kollateralschäden einer AfD zu werden, der es gelingt, Unzufriedene zu blenden. Entzaubern wird sich die AfD über kurz oder lang aber selbst. Der voraussichtliche Einzug in den Bundestag bringt die Partei in den nächsten vier Jahren nonstop ins Blickfeld. Jede Ungeheuerlichkeit und jeder Fehlgriff wird dokumentiert, und damit Verschwörungstheorien der Nährboden entzogen. Es bräuchte beim eigenen Klientel schon notorisches Blindstellen, um auf Dauer den Fakt zu ignorieren: Wer AfD wählt, bekommt, was offensichtlich zu erwarten ist: Eine Kombi aus Fremdenfeindlichkeit, kruden Ideen zum Klimawandel und chronischem Beleidigtsein. Wirklich niemand kann der AfD vorwerfen, dass sie damit hinter dem Berg hält. Die Uhr tickt. Zu einem früheren Besinnen wäre bis 24. September Zeit. Viel Hoffnung besteht leider nicht. Vielleicht gehen den AfD-Anhängern aber bis zur Landtagswahl die Augen auf. Eine Entwicklung, die die etablierten Volksparteien mit entsprechender Politik beschleunigen können. Die AfD, so wenig sie eine Alternative für Deutschland ist, fungiert als Sammelbecken von teils zu Recht von der Politik Enttäuschten. Zu den drängendsten Fragen, das ist bei allen Wahlkampfterminen in diesen Tagen zu spüren, zählt nicht nur die Asylpolitik. Mindestens genauso stark bewegt die Zukunft der Rente, gerade in Ostbayern, wo geringere Durchschnittslöhne in den vergangenen Jahrzehnten aufs Rentenniveau durchschlagen. Die Digitalisierung mit all ihren Folgen für die Arbeitswelt ist weiteres Megathema. Die Macht der Rechtspopulisten schrumpft, wenn die Etablierten für diese zentrale Probleme ein besseres Gespür entwickeln - und gute Lösungen durchsetzen.
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