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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Markus Söder: Der Schattenboxer von Christian Kucznierz

Regensburg (ots)

In diesem Land herrscht Religionsfreiheit. Wer will, hat also das Recht, sich ein Kreuz aufzuhängen, wenn er Christ ist. Er könnte sich, wenn er Buddhist ist, auch einen Buddha aufstellen. Der Atheist könnte folglich an die Stelle des Kreuzes ein Loch in die Wand bohren, der Agnostiker ein Fragezeichen aufhängen. Der Staat allerdings, das hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1995 entschieden, hat keine Religion. Er ist, um der Wahrung der Gleichbehandlung der verschiedenen Glauben willen, die Teil seiner selbst sind, zur Neutralität verpflichtet. Das bedeutet aber nicht, dass er keine Weltanschauung hat oder seinen Bediensteten kein Glaubensbekenntnis erlauben würde. Er soll sich, so das Urteil der Karlsruher Richter, schlicht nicht einmischen. Markus Söder ist das egal. Er hat eine Wahl zu gewinnen. Und wir alle helfen gerade kräftig mit, dass er das tut. Es gibt sehr wohl Religionen in Deutschland, die bedroht sind. Das Christentum ist es nicht. Wenn Menschen mit Kippa auf offener Straße angegriffen werden, dann spielt es keine Rolle, ob sie Juden sind oder nicht. Das Bekenntnis zu einer Religion ist Grund genug, sie zum Opfer werden zu lassen, weil es andere gibt, die ihre Religion nicht tolerieren. Womit wir bei Muslimen sind: Auch sie sind bedroht, weil es mehr friedliche, tolerante Muslime gibt, als intolerante, antisemitische oder potenziell gefährliche. Und dennoch leben sie in Zeiten islamistischen Terrors und in der Folge der Übergriffe spätestens seit der Kölner Silvesternacht 2015/2016 unter einem Generalverdacht: dem, dass ihr Glaube sie anfällig macht für alle Arten von Gewalt. Das Christentum steht nicht unter einem solchen Verdacht und ist auch nicht bedroht. Es wird kein Christ auf der Straße angegriffen und keine Kirche angezündet. Warum also braucht es dann eine Vergewisserung christlicher Werte, also das, was Söder mit seiner Kreuz-Aktion nach eigenem Bekunden beabsichtigt? Weil er Wählerstimmen braucht. Und wenn sich ein populistisches Muster in den letzten Jahren bewährt hat, dann das: Man schafft ein Bedrohungsszenario, gegen das man Schutz verspricht. In die Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, kommt nun also das Bekenntnis zum Kreuz. Söder ist lange genug Parteistratege, um zu wissen, dass sein Vorstoß, öffentlichkeitswirksam im Szene gesetzt, Kritik und Empörung auslösen wird - und Beifall erhält. Er weiß auch, dass diejenigen, die kein Problem mit dem Kreuz haben, sich am Ende so weit provoziert fühlen und ihren Glauben und ihre Werte bedroht sehen, um - so die Rechnung - ihr Kreuz bei der CSU machen. Fein für Söders Partei ist dabei auch, dass man so unschöne Dinge wie den erzwungenen Rückzieher beim Psychiatriegesetz vergessen machen kann. Oder die massive Kritik am Polizeiaufgabengesetz mit einer anderen, einer Scheindebatte über das Kreuz übertünchen kann. Wer an den Bundestagswahlkampf 2009 denkt, in dem Bayern offenbar keine anderen Sorgen hatte, als über die Pkw-Maut zu streiten, liegt nicht ganz falsch. Denn eines muss klar sein: Ein Kreuz, das im Eingangsbereich einer Behörde hängt oder in einem Klassenzimmer, tut niemandem wirklich weh. Wenn es dort nicht hängt übrigens auch nicht. Das Fehlen hat ja bislang auch niemandem geschadet und niemanden gestört. Bayerns wahlkämpfendem Ministerpräsidenten ist der Trick gelungen, ein Thema quasi aus dem Nichts zu setzen. Chapeau! Die Hoheit über die Biertische ist ihm erst einmal sicher. Ob die reicht, um im Oktober mit absoluter Mehrheit weiterzuregieren, oder ob es noch mehr inszenierte Debatten über die angeblich bedrohte Identität braucht, wird sich zeigen. Wenn es reicht, um die AfD von einem weiteren Triumph abzuhalten, sei Söder diese falsche Instrumentalisierung der christlichen Religion gerade noch verziehen.

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