Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Grenell: Trumps Abrissbirne in Europa von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Der Aufregung um das Verhalten des neuen US-Botschafters in Deutschland liegt ein doppeltes Missverständnis zugrunde. Richard Grenell glaubt, er könne in seinem neuen Amt wie im alten Job beim TV-Sender FOX agieren. Nicht als Top-Diplomat der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern als Trommler des Trumpismus, der sich aktiv in die inneren Angelegenheiten seines Gastlandes einmischt. In Deutschland andererseits gibt es immer noch einige, die sich den massiven Angriff Trumps auf die Nachkriegsordnung, die Amerika selber geschaffen hat, schönreden. Richard Grenell hat den Botschafterposten nicht wegen seiner diplomatischen Fähigkeiten bekommen, sondern weil er ohne Hemmungen die Abrissbirne durch die transatlantischen Beziehungen schwingen lässt. In den Augen des Präsidenten könnte es für den Posten am Brandenburger Tor keinen Besseren geben. Die Frage bleibt, was der Gastgeber mit jemanden macht, der auf einer aus düsteren Kanälen finanzierten Agitprop-Seite offen über seine destruktive Mission in Deutschland und Europa spricht. Die renommierte Kolumnistin Anne Applebaum weist in der Washington Post zurecht auf das Orwellsche "Neusprech" in Grenells Einlassungen bei Breitbart hin. Wenn er sagt, er wolle "andere Konservative in Europa ermächtigen", habe dieser nicht Mitte-rechts-Parteien wie die CDU im Sinn. "Es bedeutet, er unterstützt deren Gegner". Bezogen auf die deutsche Politik bedeutet das zweierlei. Grenell versucht, durch das Hofieren von Kräften wie Jens Spahn einen Keil in die Union zu treiben und gibt gleichzeitig Sympathien für die AfD zu erkennen. Sie sind Teil der "populistischen Internationalen", von der Trumps Vordenker träumen. Gemeinsames Kennzeichen: der Hang zum Autoritären, Übersteigerung des Nationalen und eine befremdliche Nähe zu Russland. Applebaum beobachtet messerscharf, wie in diesen Bewegungen nicht akzeptable Hetze in neuem Gewand wieder auflebt. "Indem 'jüdisch' durch 'globalistisch' ersetzt wird, kann nun wieder eine 'internationale globalistische Verschwörung' behauptet werden". Jacob Heilbrunn hält es in einem Beitrag zur US-Publikation "National Interest" deshalb für besonders bedenklich, "dass ein amerikanischer Botschafter, der ein Land repräsentiert, das die Nazis gestürzt hat, nun das Wasser für die am meisten nach hinten gerichteten Kräfte im modernen Europa trägt". Heilbrunn rät den Deutschen, diesen Botschafter nicht länger zu dulden. Leider wird es mit einem Rausschmiss nicht getan sein. Denn Richard Grenell ist die Stimme seines Herrn. Vielmehr muss sich auf breiter Front die Erkenntnis durchsetzen, dass Trumps Amerika kein verlässlicher Verbündeter mehr ist. Überraschen kann das eigentlich nur denjenigen, der ignoriert hat, was der amtierende Präsident seit dem Jahr nach dem Fall der Mauer in Berlin öffentlich zu Protokoll gegeben hat. Donald Trump ist ein überzeugter Protektionist, er hat wenig für die multilaterale Weltordnung inklusive der Nato übrig und ist kein Freund der Deutschen oder gar Europas. Berlin sollte den neuen US-Botschafter so behandeln, wie er sich aufführt. Am besten ist es, ihm nicht ständig eine Kamera ins Gesicht oder ein Mikrofon unter die Nase halten. Das ist der Treibstoff, der Agitatoren zu Hochtouren auflaufen lässt. Doch Grenell ist nicht die Ursache, sondern das Symptom eines größeren Problems. Wenn die Europäer nicht zusammenrücken, um die Werte der westlichen Demokratie und des Freihandels zu verteidigen, droht ihnen, zwischen den Mühlen Putins und Trumps zerrieben zu werden. Europa muss aufwachen, bevor es zu spät ist.
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