Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche: Im Sog des Skandals von Julius Müller-Meinungen
Regensburg (ots)
Die katholische Kirche hat zweifellos Fortschritte bei der Bekämpfung und der Prävention von sexuellem Missbrauch gemacht. Seit Beginn des Jahrtausends brechen Skandale in aller Welt über sie herein, den Anfang machten die USA, es folgten unter anderem Irland und auch Deutschland. In einigen Ländern geht die Kirche offensiv mit dem Thema um, in anderen hält sie das Meiste unter dem Teppich. In vielen Fällen wird der Klerus erst aktiv, wenn sich zuvor Opfer oder die Justiz aufgerafft haben, Licht in das Dunkel zu bringen. Auf diese Weise entstand auch der Bericht, den diese Woche eine Ermittlungskommission im US-Bundesstaat Pennsylvania vorgelegt hat. Nur auf den Druck der Justizbehörden hin öffneten die Diözesen ihre Archive. Seit den 1940er Jahren wurden etwa 1000 Kinder von etwa 300 Priestern sexuell missbraucht. Die meisten Täter sind bereits verstorben, die Dunkelziffer der Betroffenen liegt wohl wesentlich höher. Der Fall Pennsylvania ist typisch, weil die Kirche sich treiben ließ und nicht selbst aktiv wurde. Im September will die Deutsche Bischofskonferenz einen umfassenden und von unabhängigen Fachleuten erarbeiteten Bericht vorlegen, der den Umfang des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland erkennbar machen soll. Diese Initiative ist weitsichtig, da die Kirche in diesem Fall selbst Initiative zur Aufarbeitung ihrer dunkelsten Kapitel zeigt. Gleichwohl öffneten nicht alle deutschen Diözesen ihre Archive zu diesem Zweck. Dabei ist schonungslose Eigen-Aufklärung die einzige Möglichkeit, das Thema Missbrauch irgendwann einmal in den Griff zu bekommen. Der Weg zurück zur Glaubwürdigkeit führt nur über die Ehrlichkeit mit sich selbst. Wenn man sich die Skandale vor Augen hält, die gerade in den USA oder Australien auf die Kirche einprasseln, steht ihr noch ein sehr weiter Weg bevor. Der Grund für das Schneckentempo bei der Aufklärung ist die immer noch weit verbreitete Ansicht vieler Kirchenmänner, ihre Mitbrüder, die Institution Kirche und nicht zuletzt sich selbst schützen zu müssen. Papst Franziskus hat sich mit einigen Prälaten umgeben, denen keineswegs an Aufklärung gelegen ist. Ob er das bei ihrer Nominierung bedacht hat, bleibt sein Geheimnis. In seinen neunköpfigen Kardinalsrat berief er den Chilenen Francisco Errazuriz, der bereits eine besonders unrühmliche Rolle im Missbrauchsskandal der chilenischen Kirche gespielt hat. Dem Rat gehörte auch der Australier George Pell an, der sich nun in seiner Heimat wegen angeblicher sexueller Übergriffe gegen Minderjährige verantworten muss. Pell wurde vor einem Jahr vom Papst beurlaubt. Schließlich hielt Franziskus bis vor Kurzem große Stücke auf den Washingtoner Kardinal Donald Wuerl, der im Pennsylvania-Bericht besonders schlecht wegkommt. Entweder ist die katholische Nomenklatura insgesamt wenig vertrauenswürdig, wenn es auf das Thema Missbrauch kommt. Oder Franziskus hat ein ausgesprochen schlechtes Händchen bei der Auswahl seiner Helfer. In gewisser Hinsicht ist der Papst unfreiwillig den richtigen Schritt gegangen. In der Missbrauchsaffäre der katholischen Kirche in Chile bezichtigte er im Januar Missbrauchs-Betroffene erst der "Verleumdung", weil sie einen Bischof beschuldigten, der selbst bei Missbrauchshandlungen zugegen war. Als sogar Leute aus den eigenen Reihen den Papst dafür offen kritisierten, lenkte Franziskus ein. Er ließ den Fall von Vatikan-Ermittlern untersuchen und entschuldigte sich. Die Kirche muss diesen Weg der Selbstaufklärung beschreiten. Irgendwann vielleicht auch, ohne vorher die Opfer zu verhöhnen.
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