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Mittelbayerische Zeitung: Spannung im Polit-Labor Hessen
Ob es nach der Wahl wiederum für Schwarz-Grün reicht, ist völlig offen. Der Aufschwung der Grünen verschafft ihnen neue Machtoptionen.

Regensburg (ots)

Dachlatten und Turnschuhe haben in der hessischen Politik eine besondere Bedeutung. Der einstige Ministerpräsident Holger Börner erklärte 1982 zu Demonstranten gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens - für die Grünen etwa so wichtig wie der Widerstand gegen das atomare Endlager in Gorleben oder die Wiederaufbereitungsanlage im Wackersdorf - so etwas hätte man früher mit Dachlatten verprügelt. Drei Jahre später musste der SPD-Mann und einstige Maurer Börner mit den Grünen eine Regierungskoalition bilden. Joschka Fischer wurde zum ersten grünen Landesminister ernannt. Zur Vereidigung erschien der einstige Frankfurter Straßenkämpfer mit Turnschuhen an den Füßen. Fischers Schuhwerk fand inzwischen Eingang ins Bonner Haus der Deutschen Geschichte. Geschichtsträchtig waren oft auch Entwicklungen in der hessischen Politik. Jahrzehntelang bestimmten Sozialdemokraten die Geschicke des Landes. Die waren allerdings ab den 80er Jahren auf Unterstützung der einstigen grünen Ökopaxe angewiesen, die damals in weiten Kreisen wegen ihrer teils gewalttätigen Vergangenheit nicht als "salonfähig" galten. Hessen war in dieser Zeit ein Vorbote von Rot-Grün, dass es schließlich 1998 auch auf die bundespolitische Bühne schaffte. Allerdings scheint das vor 13 Jahren abgewählte rot-grüne Modell, für das der "Koch", Kanzler Gerhard Schröder, sowie der "Kellner", Außenminister Joschka Fischer, standen, seine Zukunft bereits hinter sich zu haben. In Hessen spricht derzeit wenig dafür, dass Grüne und SPD zusammen eine Mehrheit erringen könnten. Als einziges mögliches Zweierbündnis könnte dies Schwarz-Grün - oder eben Grün-Schwarz wie in Baden-Württemberg - schaffen. Hessen war das erste Flächenland, in dem Christdemokraten und Grüne eine dauerhafte Regierung bilden konnten. Der immer etwas zerknautsch aussehende Ministerpräsident Volker Bouffier ist einer der zusehends weniger werdenden Freunde von Angela Merkel in der Spitze der CDU. Der Jurist hat es fünf Jahre lang geschafft, das schwarz-grüne Regierungsboot über den Main zu schippern. Und das recht erfolgreich, ohne größere Schlagseite jedenfalls. Der grüne hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir indes steht für eine pragmatische Politik, die auf Beschäftigung und Modernisierung abzielt. Ohne freilich den Umwelt- und Klimaschutz hinten runterfallen zu lassen. In Hessen zeigen die Grünen, dass sie eine weniger ideologiegetriebene Realpolitik betreiben können. Die augenscheinliche Schwäche der GroKo-Parteien Union und SPD scheinen geradezu ein Jungbrunnen für die Grünen zu sein. Statt der grauen "Alt-68er" haben jüngere Spitzenleute wie Annalena Baerbock und Robert Habeck die Führung übernommen. Der urgrüne Streit zwischen Fundamental-Opposition und Realos scheint überwunden. In Hessen jedenfalls dürfte nach der Wahl am Sonntag nichts ohne die Grüne gehen. Ihnen eröffnen sich gleich mehrere Machtoptionen. Inzwischen sind die Grünen zu einer Art fiktiver Stütze Angela Merkels geworden. Bereits 2013 wollte die Kanzlerin eine Koalition mit den Grünen schmieden. Das scheiterte seinerzeit am Widerstand der CSU sowie an einigen linken Grünen, die keine Zugeständnisse machen wollten. Im Herbst 2017 scheiterte eine Jamaika-Koalition bekanntlich nicht an den flexiblen Grünen, mit denen sich Merkel weitgehend einig war, sondern am sturen FDP-Chef Christian Lindner, der unbedingt Merkel weghaben wollte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nun eine schlimme Niederlage der CDU in Hessen das Ende Merkels beschleunigen könnte. Würde es jedoch wieder zu Schwarz-Grün in Wiesbaden reichen, gingen Merkel und ihre GroKo im Bund vielleicht sogar gestärkt hervor. Es herrscht Spannung im Polit-Labor Hessen.

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