Mittelbayerische Zeitung: Schicksalsjahre der Kanzlerin. Fast hätte Angela Merkel im abgelaufenen Jahr die Macht verloren. Doch nun, den Abgang vor Augen, will sie es offenbar noch einmal wissen. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
In einer aktuellen Umfrage hat die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer die "Nur-noch-Kanzlerin" Angela Merkel bereits übertrumpft. Von der vor rund drei Wochen nur denkbar knapp zur neuen Vorsitzenden gewählten "AKK" wird etwas mehr erwartet als von Merkel, die ihren Abgang aus der Politik vor Augen hat. Die Ausgangssituation beider Unions-Politikerinnnen ist auch völlig unterschiedlich. Während die Saarländerin Kramp-Karrenbauer die Krönung ihrer politischen Karriere erst noch anstrebt - und Kanzlerin möchte sie schon ganz gern werden -, steht die Regierungschefin in der Abenddämmerung ihres politischen Lebens. Dabei war das Jahr 2018 das wahrscheinlich turbulenteste, dass Merkel als Kanzlerin erlebte. Mehr noch als im Flüchtlings-Schicksalsjahr 2015 wurde sie heuer brutal und von vielen Seiten gleichzeitig attackiert. 2018 hätte die Ostdeutsche fast ihre Macht verloren. Drei Jahre zuvor konnte sie den Protest noch mit Wir-schaffen-das-Lyrik eindämmen. Ohnehin geschwächt vom Scheitern des Jamaika-Bündnisses, bei dem FDP-Chef Christian Lindner unverblümt Merkels Abgang einforderte, blieb der CDU-Frau nur eine erneute Groß-Koalition mit der SPD. Nur so konnte sie die eigene und die Macht der Union aufrecht erhalten. Eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen hätten vermutlich Merkels politisches Ende bedeutet. Sie wäre von den eigenen unzufriedenen Leuten, allen voran CSU-Chef Horst Seehofer, gestürzt worden. Die Abwahl des Merkel-Vollzugs-Fraktionschefs Volker Kauder wirkte für viele in der Fraktion wie ein Fanal. Doch mit der Voraussicht eines Großmeister-Schachspielers, kühlem Blut und auch einer Portion Sturheit ließ Merkel alle Attacken gegen ihre Person abtropfen. Selbst dass der einst von ihr abgehalfterte Friedrich Merz urplötzlich nach dem CDU-Vorsitz griff, hat Merkel - zumindest nicht öffentlich sichtbar - nicht aus der Fassung gebracht. Ihre Wunschkandidatin AKK setzte sich hauchdünn durch. Merkel-Gegner, vor allem im Süden der Republik, drängen nun vehement darauf, dass der unterlegene Hoffnungsträger der Konservativen ein Ministeramt bekommt oder sonst wie auf dem politischen Parkett eine wichtige Rolle spielen soll. Etwa als Ministerpräsident im Ländle Baden-Württemberg, wenn dereinst die Grünen von der Spitze verdrängt würden. Doch nun, den eigenen Abgang vor Augen, will es Angela Merkel offenbar noch einmal wissen. In ihrer Neujahrsansprache räumt sie zwar Verständnis für den Unmut vieler Menschen über die langwierige Regierungsbildung und die quälenden Streitereien mit Horst Seehofer ein, doch Merkel schaut lieber nach vorn. Die Herausforderungen auf internationaler wie auf nationaler Bühne werden 2019 keineswegs kleiner. Klimawandel, Migration, internationaler Terrorismus auf der einen sowie Digitalisierung, Dieselkrise, die Werte unseres Zusammenlebens auf der anderen Seite. Merkel beschreibt Aufgaben für die nahe Zukunft. Ihre Aufgaben. Wie der Abgesang einer Kanzlerin, die schon bald in den Ruhestand treten will, klingt das jedenfalls nicht. AKK, Merz oder wen auch immer die Union zum nächsten Kanzlerkandidaten küren wird, müssen also noch etwas warten. Und tatsächlich kann die Langzeit-Kanzlerin noch eine ganze Menge für ihr Land tun. Sie muss mitsamt ihrer GroKo schlicht gute Politik machen. Einige Entlastungen der arbeitenden Menschen hat die Koalition bereits ebenso auf den Weg gebracht wie soziale Verbesserungen für sozial Schwache und Familien. Freilich gleicht das Tempo der Veränderungen eher dem einer Schnecke. Den ungeliebten Soli-Zuschlag könnte die GroKo bereits im neuen Jahr abschaffen. Von der Haushaltslage her kann sie das. Ob Merkel und Co. auch den Mut dazu aufbringen, ist allerdings eine andere Frage.
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