Mittelbayerische Zeitung: Zwischen Hilfe und Abschreckung. Seit einem Jahr bringt Bayern ankommende Asylbewerber in Massenunterkünften unter. Von Katia Meyer-Tien
Regensburg (ots)
Ein Anker, weiß der Duden, ist ein "Gerät, das (...) das Schiff an seinem Platz festhält". Das Wort weckt Assoziationen von Häfen und Sicherheit. Wer ankert, der bleibt, zumindest eine Weile. In den sieben bayerischen Ankerzentren hingegen ist das Bleiben eigentlich nicht vorgesehen. Nicht einmal dem Namen nach, "Anker" steht hier für Ankunft, kommunale Verteilung, Entscheidung, Rückführung. Doch ein Jahr nach ihrer Etablierung fällt die Bilanz dieser Ankerzentren durchwachsen aus. Wer ein Recht auf Asyl in Deutschland hat und das gut belegen kann, dessen Verfahren kann hier tatsächlich innerhalb von wenigen Wochen abgeschlossen werden; er kann das Zentrum verlassen und ein neues Leben in Deutschland beginnen. Diejenigen aber, die ihren Fall erst in einem Gerichtsverfahren klären lassen müssen, und diejenigen, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber aus verschiedensten Gründen noch nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, die bleiben in den Ankerzentren. Und verbringen oft viele Monate hinter den Sicherheitszäunen, bewacht von Sicherheitsleuten, in Mehrbettzimmern ohne Privatsphäre, ohne Beschäftigung und ohne Zukunftsperspektive. Es ist ein sehr schwerer Anker, den Bayern diesen Geflüchteten da zuwirft. Die Zentren sind ein Stein gewordenes "Ja, aber": Ja, man will helfen und Menschen in Not und Bedrohung eine Heimat bieten. Und doch will man keinesfalls den Eindruck erwecken, jeden willkommen zu heißen und dadurch allzu vielen Menschen einen Anreiz zu bieten, sich auf die Reise nach Deutschland zu machen. Ein Spagat zwischen Humanität, Menschenrecht und Abschreckung, der sich überall im Umgang mit Geflüchteten zeigt, sei es bei der Seenotrettung oder in der Integrationsdebatte. Bei näherer Betrachtung aber führt der Versuch, Menschen durch diese Versorgung auf Mindestniveau abzuschrecken oder wieder zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen, gewaltig in die Irre. Zum einen in der Umgebung der Ankerzentren selber, wo es durch die angespannte Stimmung in den Lagern immer wieder zu Zwischenfällen kommt. Und wo die isolierte Unterbringung kaum Kontakt zwischen den Geflüchteten und den Anwohnern ermöglicht, so dass die Zentren und ihre Bewohner Fremdkörper in der Nachbarschaft sind und bleiben. Zum anderen aber auch in der Konsequenz: Wer ohnehin psychisch belastet ist und dann Monate in einer Massenunterkunft zubringen muss, der tut sich noch schwerer als ohnehin mit der Integration in Deutschland, wenn sein Asylantrag letztlich doch bewilligt wird. Und wer ohne neue Perspektive zurück in sein Heimatland geschickt wird, nachdem ihm Sicherheit und Wohlstand in Deutschland so deutlich vor Augen standen und verwehrt wurden, wird Hass entwickeln. Gerade diskutiert Deutschland über eine Erhöhung des Verteidigungsetats. Die Ankerzentren und, grundsätzlicher, der Umgang mit Geflüchteten muss endlich zum Teil dieser Diskussion werden. Denn die meisten derjenigen, die heute in den Zentren untergebracht sind, kommen aus den Ländern, in denen jener Hass und Terror gedeihen, gegen den sich Deutschland verteidigen muss. Eine Investition in menschenwürdigere Unterbringung und vielleicht sogar in die Ausbildung auch jener Geflüchteten, die keine Bleibeperspektive haben, ist daher kein rein humanitärer Akt. Sondern kann, nach ihrer Rückkehr, ein Beitrag sein zur wirtschaftlichen Stabilisierung ihrer Heimatländer. Das Schaffen von Zukunftsperspektiven für Geflüchtete, unabhängig davon, ob sie ein Bleiberecht haben oder ob sie in ihre Heimat zurückkehren, dient damit auch dem deutschen Sicherheitsinteresse. Abschreckung und Ignoranz hingegen bewirken das Gegenteil.
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