Solidarität mit Maß
Die EU berät ein Antikrisenkonzept. Von einer Vergemeinschaftung von Schulden kann man nur abraten: Sie wäre die dauerhafte Einladung zum Geldausgeben.
Regensburg (ots)
Die EU-Staatschefs stehen vor fundamentalen Fragen. Das Antikrisenkonzept, das sie seit gestern Nachmittag beraten, kreist um Corona-Bonds, die auf eine Vergemeinschaftung von Schulden hinauslaufen und nach denen Italien am lautesten ruft. Sogar der Papst schickt vor der Videokonferenz Gebete zum Himmel: Europa möge es gelingen, die "geschwisterliche Einheit zu erreichen, von der die Gründerväter der EU geträumt haben". Das Bild passt, auch, um zu verstehen, warum Corona-Bonds ein verheerendes Signal wären. Die 27 EU-Länder verstehen sich als Großfamilie, die sich austauscht, stärkt und stützt. Stellen Sie sich vor, eine Ihrer vielen Schwestern drängt, für ihre Schulden geradezustehen, auf Dauer und ohne Konditionen. Sie sind Ihrer Schwester innig verbunden, wissen jedoch: Sie hat viele Talente, aber kein Händchen für Geld. Auch wenn die Gründe für den desaströsen Zustand ihrer Finanzen sogar nachvollziehbar sind: Sie hat die Jahre seit der Finanzkrise nicht genutzt, um ihre Existenz auf ein tragfähiges Fundament zu stellen. Sie hat ihre Strukturen nicht geändert. Sie trifft sich immer noch mit schlechten Freunden aus der Mafia, die sie nur ausnutzen, und vertraut sich rechtspopulistischen Typen an. Sie will nur 32 Jahre arbeiten statt 39 wie Sie selbst. Und während Sie überwiegend in Miete wohnen, lebt die Schwester größtenteils im Eigenheim. Dass sie wettert, Sie wollten sie "zerquetschen", wie Schauspieler Tullio Solenghi in einem berühmten Video schimpft, und alte Geschichten aus der Kindheit in den 1940ern verdreht und Ihnen um die Ohren haut - geschenkt! Vernünftigerweise würden Sie Ihre Schwester unterstützen, auch weil Sie wissen: Es geht Ihnen nicht gut, so lange es ihr schlecht geht. Sie würden ihr also ein Darlehen geben und Zuschüsse, ihr sogar einen Dauerauftrag einrichten, aber Sie würden ihr hoffentlich nicht gestatten, dass sie sich selbstständig, ohne Ihre Zustimmung und unbegrenzt von Ihrem Konto bedienen darf. Schon deshalb nicht, weil Sie gerade selbst vor riesigen Geldproblemen stehen. Der Welt droht die vielleicht größte Krise seit den 1920er Jahren, jüngere Prognosen schätzen den Einbruch der Weltwirtschaft auf ein Drittel. Deutschland hat für die eigenen Bürger ein Paket von einer Billion Euro geschnürt, das ist eine Eins mit zwölf Nullen: 1 000 000 000 000. Außerdem ist Deutschland einer der großen Zahler in die Krisenkassen der EU, die Hilfsgelder mit vollen Händen ausgibt, damit Europas Wirtschaft den Corona-Crash überlebt. Du stärkst den Schwachen nicht, wenn du den Starken schwächst. Die alte Regel gilt auch im Fall Italien, umso mehr, als das Land von Corona-Bonds nicht sonderlich profitieren würde, wie eine frische Studie des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung sagt. Der Zins für italienische Anleihen liegt dank EZB bereits extrem niedrig, und bei Corona-Bonds würde der Zinsvorteil für Italien marginal ausfallen. Außerdem: Die EU hat ja bereits 540 Milliarden Euro Krisenhilfe vereinbart. Besprochen ist außerdem ein "Recovery Fund" für wirtschaftliche Erholung und überlegt wird eine Art Marshall-Plan in Höhe von 500 oder auch 1500 Milliarden Euro. Die Regeln des EU-Vertrags bröckeln seit Jahren. Jetzt soll auch noch die No-Bailout-Klausel fallen. Artikel 125 verbietet, für Schulden einzelner Länder gemeinsam zu haften. Corona-Bonds würden das Mitspracherecht des deutschen Parlaments ausschalten. Das können wir nicht wollen. Italien macht sich plötzlich Sorgen um sein Minus. Das ist bemerkenswert für einen Staat, der seine Schulden auf 133 Prozent des BIP anwachsen ließ. Trotz des gigantischen Saldos schlägt das Land aber bisher den Schutz des ESM-Schirms aus, der ja mit strikten Kontrollen verbunden wäre, und pocht weiter auf vergemeinschaftete Schulden. Die EU bleibt hoffentlich bei ihrem Nein. Corona-Bonds wären eine dauerhafte Einladung zum Geldausgeben.
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