Der Reiz der Kanzlerkandidatur
Von Christine Schröpf
Regensburg (ots)
Wenn nicht jetzt, dann vielleicht nie: Sollte auch nur im hintersten Gedankenstübchen von Ministerpräsident Markus Söder der Wunsch nach einer Kanzlerschaft herumspuken - und wer würde ernsthaft daran zweifeln, dass dem so ist - bleibt ihm ein halbes Jahr, um in der Union sein Feld zu bestellen. Angela Merkel tritt 2021 sicher als Kanzlerin ab, wie sie unlängst umwerfend heiter bekräftigt hat. Nach der Wahl des neuen CDU-Chefs im Dezember wird wohl im Januar der nächste Unionskanzlerkandidat gekürt. Dann schließt sich Söders schmales Zeitfenster. Überlässt er Armin Laschet oder Friedrich Merz unangefochten die Spitzenkandidatur und fährt einer der beiden bei der Bundestagswahl einen Sieg ein, ist der Posten bei guter Amtsführung höchstwahrscheinlich länger als nur für vier Jahre blockiert. Gleiches gilt, wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin von SPD oder Grünen ins Kanzleramt einzieht. Söder weiß das. Er weiß auch, dass seine Chancen auf eine Kanzlerkandidatur wohl nie besser sein werden als im Moment. In Umfragen liegt er vor Merz und Laschet. Die zwei Konkurrenten gelten im konservativen Klientel nicht als Zukunftsfiguren. Söder wiederum hat in der Corona-Krise Macherqualitäten gezeigt, und zwar ziemlich unangestrengt. Das kommt - zentraler Punkt für einen CSU-Mann - auch außerhalb Bayerns gut an. Er hat viele Skeptiker zum Umdenken gebracht. Noch vor zwei, drei Jahren hätte eine Kanzlerkandidatur Söders Ungläubigkeit oder Spott ausgelöst. Heute konzentrieren sich die Debatten auf die beiden Fragen: Traut er sich? Will er das wirklich? Klar ist: Es zählte bisher nicht zu Söders Lebensplan, 2021 an den Toren des Kanzleramts zu rütteln. Der Ministerpräsidentenposten, auf den er so lange und konsequent hingearbeitet und den er Vorgänger Horst Seehofer erst nach heftigem Machtkampf abgetrotzt hat, behagt ihm gut. Söder hat als persönliches Ziel erklärt, zehn Jahre im Amt zu bleiben, sofern die Wähler mitspielen. 2021 wären erst drei Jahre verstrichen. Die Option der Kanzlerkandidatur kommt für ihn also irgendwie zu früh. Sie ist zudem mit deutlichen Risiken verknüpft. Bayern ist Söders Komfortzone, Berlin ist das nicht. Auch Mentor Edmund Stoiber hatte bei seinen politischen Ausflügen nach Berlin wenig Fortune. In Söders Fall könnte das Projekt schon im Anfangsstadium scheitern. Denn die Ehrgeizigen in der CDU würden einen CSU-Mann nur unter höchstem Schmerz aufs Schild heben und im Wahlkampf entsprechend gebremst agieren. Frei nach dem höchst kurzsichtigen Motto: Lieber die Wahl vergeigt, als Söder zur Macht verholfen. Trotz Umfragehoch hat eine Kandidatur also das Potenzial eines Höllentrips. Die Probleme gründen mitnichten allein in der Union. Im Wahlkampf warten kapitale Herausforderer, die erst zu bezwingen sind: Bundesfinanzminister Olaf Scholz wäre ein harter Brocken, auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Bei einem Wahlerfolg würde es für Söder nicht einfacher. Potenzielle Berliner Koalitionspartner wären deutlich schwieriger im Griff zu halten, als die Freien Wähler in Bayern. Der Wind würde insgesamt rauer. Ein wichtiger Markenkern der CSU - eine Politik-Agenda hauptsächlich aus Bayernsicht - nähme deutlichen Schaden. Als Kanzler könnte sich Söder keine weiß-blauen Extratouren erlauben. Sein Aufgaben-Portfolio wäre auch sonst deutlich größer. Er müsste sich auf internationalem Parkett profilieren. Doch wann hätte Söder je eine Herausforderung nicht auch als Reiz empfunden? Die Erfolgschancen der Union mit ihm als Kandidaten wären jedenfalls größer als bei Laschet oder Merz. Bleibt die Kernfrage: Kann Söder überhaupt Kanzler? Er besitzt sicher das Talent, alles andere zeigt sich im Amt. Merkel hat in diesem Punkt 15 Jahre lang immer wieder Maßstäbe gesetzt, an denen der nächste Regierungschef gemessen werden wird. Wer immer am Ende auf diese bemerkenswerte Frau folgt, tritt in große Fußstapfen.
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