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Junge und Frauen an die Macht/Die Parteien haben ein Problem: Sie bilden den Durchschnitt der Bevölkerung nicht ab. Die Entfremdung wird immer größer. Leitartikel von Bernhard Fleischmann

Regensburg (ots)

Das Jahr der Entstehung steht fest: 1890 wurde die SPD durch die Umbenennung der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) formal gegründet. Die Wurzeln reichen sogar noch einige Jahrzehnte weiter zurück. Heute denkt bei SAP niemand mehr an Arbeiter und schon gar nicht an Sozialismus, sondern an das deutsche Software-Flaggschiff, notiert im Deutschen Aktienindex DAX. Dort hat Sozialismus nichts verloren, es geht im Gegenteil streng kapitalistisch zu. Beim Begriff Arbeiterpartei weiß man nicht mehr, wer damit gemeint sein soll. Der Zeitpunkt, zu dem die SPD diesen Status verloren hat, ist im Gegensatz zur Gründung unklar. Die meisten Bundesbürger denken dabei wohl an die Schröder-Ära, in der so manche Genossen der Bosse die Distanz zum werktätigen Volk veranschaulichten. Doch auch diese zeitliche Einordnung dürfte nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Es war ein schleichender Prozess. Arbeiterparteien gibt es schon lange nicht mehr, auch Die Linke sind keine. Denn erstens ist die Arbeitswelt über die Arbeiter hinweggegangen, so dass sich eine große Partei auf sie allein schon zahlenmäßig nicht stützen kann. Und zweitens fehlt es an Arbeitern in den Parteien und vor allem in den Parlamenten. Die Arbeiter sind mit ihrem Schicksal nicht allein. Es gibt viele Berufs- und gesellschaftliche Gruppen, die in den politischen Entscheidungsprozessen massiv unter die Räder kommen. Junge generell, moderne Job-Nomaden, einfache Angestellte. Anders gesagt: Die Parteien bilden in ihrer Zusammensetzung die Bevölkerung nicht ab. Das haben sie zwar noch nie besonders gut getan. Aber mittlerweile fühlen sich immer mehr Bürger nicht vertreten, weil ihresgleichen in Parteien und Parlamenten kaum vorkommt. Die Arbeiter etwa machen bei der SPD 16 Prozent aus, bei der Linkspartei 17 Prozent. Damit sind die beiden Parteien sogar Spitzenreiter in dieser Berufsgruppe. Die meisten Mitglieder über alle Parteien hinweg sind Angestellte im Öffentlichen Dienst, Beamte, Selbstständige und Freiberufler. An der Gesamtbevölkerung haben diese Gruppen - man glaubt es kaum - aber nur einen Anteil von einem Viertel. Ebenso wenig geben Parteien den Durchschnitt beim Thema Bildungsabschluss wieder. Gut ein Drittel der Bundesbürger verfügen über maximal Hauptschulabschluss. In den Parteien machen sie 21 Prozent aus. Die Unterschiede sind immens: Bei der CSU beträgt ihr Anteil 31, bei den Grünen kümmerliche vier Prozent. Kein Wunder, dass die Öko-Partei als elitär wahrgenommen wird. Noch krasser wird dieser Eindruck, wenn man den Anteil der Akademiker betrachtet: bei den Grünen fast drei Viertel, bei der CSU rund ein Drittel. Damit bilden die Christsozialen die Bevölkerung deutlich besser ab. Allein deshalb sind die CSU und die CDU stark im Vorteil, größere Stimmenanteile zu gewinnen. Thematisch - und auch ideologisch - haben sich die Grünen ja längst breiter aufgestellt, um für die Bildung von Regierungsmehrheiten relevanter zu werden. Nun sollten sie zudem daran arbeiten, auch für Menschen ohne Hochschulabschluss interessant zu sein. Immerhin sind die Grünen in einem Punkt weit vorne, bei dem vor allem Konservative im falschen Gestern hängengeblieben sind: beim Frauenanteil. CSU, FDP und insbesondere AfD (18 Prozent) sind bei Frauen schwach. Allen gemein - mehr oder weniger - ist eine gewisse Überalterung. Bei SPD und Union liegt der Schnitt bei 60 beziehungsweise 61. Grüne und FDP liegen bei 48 und 51 Jahren. Zugespitzt heißt das: Ältere Männer mit dem Blickwinkel öffentlicher Dienst entscheiden über die Zukunft von Schülern, Auszubildenden, Studenten, Angestellten. Das muss auf die Dauer schiefgehen. Denn kaum jemand kann sich seiner persönlichen Perspektive so entziehen, dass er den eigenen Interessen entgegenarbeitet. Kein Wunder also, dass sich viele Bevölkerungsgruppen nicht gut vertreten und verstanden fühlen. Junge, Frauen, Nicht-Akademiker müssen mehr zu sagen haben. Andernfalls fallen die Parteien als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft immer mehr aus.

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