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Der Wackelkandidat/Wirecard, Cum-Ex: Olaf Scholz schleppt viel Ballast in den Bundestagswahlkampf. Weder er noch die SPD haben eine Verteidigungsstrategie entwickelt. Leitartikel von Heinz Gläser

Regensburg (ots)

Wie man's auch macht, ist's verkehrt! Diese eherne Regel, die der Volksmund aufgestellt hat, trifft allemal auf den höchst diffizilen Zeitpunkt der Kür eines Kanzlerkandidaten zu. Die SPD kann aus leidvoller Erfahrung ein Lied davon singen, wenn auch kein Arbeiterlied. Sie ächzt allerdings auch unter der Hypothek, seit längerer Zeit alle vier Jahre einen neuen Aspiranten präsentieren zu müssen. Diesmal fiel die Wahl parteiintern bekanntlich auf Olaf Scholz. Und der frühe Zeitpunkt gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl schien zunächst sogar perfekt getimt zu sein. Scholz inszenierte sich in der beginnenden Coronakrise als Macher und seriöser Kassenwart, ganz in der Tradition des großen hanseatischen Vorbilds Helmut Schmidt. Der Vizekanzler und Bundesfinanzminister nahm fast im Gleichschritt mit Markus Söder auf der demoskopischen Skala der Sympathiewerte gleich mehrere Stufen auf einmal. Dass die SPD-Linke weiterhin arg mit dem unter schweren Neoliberalismus-Verdacht stehenden Scholz fremdelte und zuvor mit vereinten Kräften dessen Sturm an die Parteispitze vereitelt hatte, trat in den Hintergrund. Den stets distanziert auftretenden Scholz auf den Schild zu heben, war kein Akt der Zuneigung, sondern des puren Pragmatismus. Nur der 62-Jährige bietet in der aktuellen Situation die Gewähr dafür, die im Stadium des beginnenden Siechtums befindliche Sozialdemokratie zu einem halbwegs respektablen Wahlergebnis zu führen. Das mag den Genossinnen und Genossen ungerecht erscheinen, leisten sie doch in der Regierung überzeugende Arbeit. Dass der Souverän diese Arbeit nicht entsprechend honoriert, ist mittlerweile eine Konstante. Leider, aus SPD-Sicht. Olaf Scholz war also letztlich eine logische und alternativlose Wahl. Freilich war nicht absehbar, dass der Kandidat wenige Wochen nach der Kür einen ganzen Rucksack voller Altlasten mitschleppen würde. Nun stellen sich heikle Fragen: Welche Rolle spielte er im Cum-Ex-Skandal, welche im Fall Wirecard? Zwei der größten Wirtschafts- und Finanzskandale der Bundesrepublik, wenn nicht die beiden größten, sind plötzlich eng mit dem Namen Scholz verknüpft. Der Finanzminister muss sich höchst unangenehmen Fragen stellen. Hat er womöglich als Erster Bürgermeister von Hamburg seinen Einfluss geltend gemacht, um einer Privatbank Steuerrückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro zu ersparen? Das Wirecard-Desaster wird derweil von einem Untersuchungsausschuss ausgeleuchtet, in dem die Vertreter der Opposition eklatante Versäumnisse der Aufsichtsbehörden aufzudecken hoffen. Der SPD-Regierungspartner Union übt sich noch in vornehmer Zurückhaltung und spart mit Kritik an Olaf Scholz. Wohl auch, weil eigene Verstrickungen in die Affären ans Licht kommen könnten. Doch diese Schonfrist dürfte mit dem Nahen des Wahltermins enden. Scholz hat beim Start ins Rennen ums Kanzleramt mithin gehörigen Ballast zu schultern. Erschwerend kommt hinzu, dass weder er selbst noch die SPD eine probate Verteidigungsstrategie entwickelt haben. Das Rausreden auf Erinnerungslücken, das Ausweichen und Wegducken mit Verweis auf die formale Zuständigkeit untergeordneter Stellen führen nicht weiter. Scholz gerät in die Defensive, wo er doch zur Attacke blasen will. Der verzagten SPD ist mit einem Wackelkandidaten nicht gedient. An dieser Stelle offenbart sich das ganze Dilemma. Zwar deutet noch wenig darauf hin, aber sollte die gewiss quälend lange Aufarbeitung der Skandale Olaf Scholz als Politiker desavouieren, wäre weit und breit kein anderer vorzeigbarer SPD-Kandidat in Sicht. Die Partei hat seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders zu viele Talente in ideologischen Grabenkämpfen verschlissen, als dass sie personell noch Alternativen hätte. Somit gilt ein abermals ein dem Volksmund entliehenes Motto, das in der Realität allzu selten zum Erfolg führt: Augen zu und durch!

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