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Die Kluft am Kabinettstisch
Im Streit zwischen Regierungschef Markus Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger geht es nicht nur um Hotels oder Skilifte. Von Christine Schröpf

Regensburg (ots)

Der Streit zwischen Ministerpräsident Markus Söder und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist mehr als ein Gekabbel im Corona-Stress. Die beiden geraten seit Monaten aneinander, der öffentliche Schlagabtausch um Hotels und Skilifte ist nur das jüngste Beispiel. Aiwanger trifft Söder und die CSU mit seinem Drängen auf Lockerungen an der empfindlichsten Stelle - denn Lockern würden auch die Konservativen liebend gern, sie zwingen sich nur auf harten Kurs, weil sie eine dritte Corona-Welle noch mehr fürchten, als den Zorn und die Verzweiflung der Eltern, Hoteliers, Restaurantbesitzer, Einzelhändler und Künstler.Als Retourkutsche schlägt Söder seinem Regierungsvize um die Ohren, dass er in der Corona-Krise von Irrtum zu Irrtum hastet. Das zielt exakt auf den wunden Punkt Aiwangers, der zwar die Sehnsüchte der coronamüden Bürger bedient, am Ende aber - abgesehen von punktuellen Erfolgen wie beim Click&Collect oder dem Ankurbeln der Maskenproduktion - zumeist nicht liefern kann. Das tückische Virus, nicht die CSU, hat Wunschszenarien mehrfach pulverisiert. Leider, muss man sagen. Denn Aiwangers Visionen von einem bald wieder normaleren Leben sind schön, wenn auch Skilifte auf der Prioritätenliste nicht ganz oben stehen müssen. Wenigstens mit einer Einschätzung hat Aiwanger zu 100 Prozent Recht behalten: Schon im Mai hatte er von einem "vergifteten" Klima in der Koalition gesprochen. Der Satz gilt heute wie damals, als sich der Streit übrigens an Hochzeitsfeiern, Bars und Kneipen entzündete. Die Stimmung ist angespannt, mit dem Risiko von Eigendynamiken. Da hilft auch nicht das Wissen, dass in Koalitionen anderer Bundesländer gleichfalls heftig um Corona gerungen wird.Das Muster in Bayern ist stets ähnlich: Aiwanger fordert, Söder sagt Nein und lässt ihn dabei spüren, dass er zwar die politischen Instinkte seines Kontrahenten für hoch entwickelt hält, nicht aber dessen Weitsicht und staatsmännisches Talent. Die größte gemeinsame Basis besteht im Moment darin, dass man ohne den anderen keine Regierungsmehrheit hat. Ein Koalitionsbruch mitten in der Krise kommt nicht in Frage, auch wenn bei der Pandemiebekämpfung die Schnittmenge zwischen CSU und Grünen inzwischen deutlich größer ist.Die Machtverhältnisse am Kabinettstisch sind durch das Ergebnis der Landtagswahl 2018 bestimmt, bei der die CSU 37,2 Prozent erzielte, die Freien Wähler 11,6. Der Pandemie-Kurs trägt also legitimer Weise die starke Handschrift Söders. Der Koalitionsvertrag, der Positionen austariert und die Freien Wähler mitkommen lässt, greift in diesem Punkt nicht. Das Papier stammt aus Vor-Corona-Zeiten, in denen sich die Koalition noch mit Flutpoldern oder dem Polizeiaufgabengesetz beschäftigte.Die entscheidende Frage bleibt: Liegt Aiwanger mit seinen jüngsten Forderungen dennoch richtig? Sollte ab Mitte Februar mit Ausnahme der Diskotheken bei stabiler Lage alles geöffnet werden? Schließlich sinken die Sieben-Tages-Inzidenzen. Der Großraum Regensburg hat sich an die Marke 50 herangerobbt, die stets als Zielmarke genannt worden ist. Die Todeszahlen dürften zurückgehen, sobald jeder Hochbetagte geimpft ist. Doch ehrlicherweise kann heute wegen hochansteckender Virus-Mutationen keiner sagen, wie es im Februar ausschaut. Die Datenlage ist zu dünn, um genau abzuschätzen, wie stark das B.1.1.7-Virus grassiert. Aiwanger ist vom Prinzip Hoffnung gelenkt, Söder vom Prinzip Vorsicht. Irren ist auf allen Seiten das Risiko. Auch die Fraktion der Vorsichtigen hat immer wieder nachjustiert und stimmt gerade früh auf eine neue Verlängerung des Lockdowns ein. Dabei haben die Bürger die aktuellen Regeln kaum verdaut.

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