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Es steht viel auf dem Spiel
Sollte sich die Nato vom Hindukusch völlig zurückziehen, droht Afghanistan im Chaos zu versinken. Der Westen braucht endlich eine Strategie. Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Fast gehen derzeit die - zumeist schlimmen - Nachrichten aus Afghanistan in der Flut der Meldungen zur Corona-Pandemie unter. Dabei kommt das Land auch nach fast zwei Jahrzehnten des Nato-Einsatzes nicht zur Ruhe. Im Gegenteil. Am Hindukusch eskalieren derzeit Gewalt und Terror je näher der ins Auge gefasste Abzug der US-Truppen Ende April rückt. Und sollte sich die Nato jetzt dazu entschließen, sämtliche Truppen abzuziehen, droht das geschundene Land noch viel tiefer in Chaos, Gewalt, Terror und Korruption zu versinken. In Afghanistan steht sehr viel auf dem Spiel. Es geht auch darum, ob fast zwei Jahrzehnte Engagement des Westens, viele getötete Soldaten und Zivilisten, viele Milliarden an Hilfsgeldern, Fortschritte in Bildung und Demokratisierung umsonst waren oder nicht. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA war das in Afghanistan herrschende Taliban-Regime bald als ein Hort des islamistischen Terrornetzwerkes al-Kaida ausgemacht. Angeführt von den USA wurde die internationale Unterstützungstruppe ISAF formiert, die Kabul und andere Städte sowie Regionen von den fundamentalen Taliban befreiten und Hunderte Militärstützpunkte errichteten. Im Rahmen der Nato waren auch Bundeswehrtruppen aus unserer Region, mittlerweile über 100 000 deutsche Soldaten und Soldatinnen im Afghanistan-Einsatz. Zurzeit stellt Deutschland nach den USA das zweitgrößte Truppenkontingent, das vor allem afghanische Soldaten ausbildet. Afghanistan erlebt nicht nur die längste, sondern auch die opferreichste Militärmission der Nato und einiger Partnerländer. Im ISAF-Einsatz verloren über 3500 Soldaten ihr Leben, 59 davon kamen aus Deutschland. Die Zustimmung der heimischen Bevölkerung zum heftig umstrittenen Einsatz im fernen, fremden Land sank immer tiefer. Auch wenn Verlängerungen des Mandats für die Bundeswehr in den letzten Jahren fast zu einer Art Bundestags-Routine wurden. Das Wort des früheren SPD-Verteidigungsministers Peter Struck, Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt, überzeugte immer weniger. Viele hatte es noch nie überzeugt. Ex-US-Präsident Donald Trump ging es weniger um das weitere Schicksal Afghanistans, sondern mehr um den innenpolitischen Erfolg, die Soldaten endlich in die Heimat zurückzuholen. Dazu ließ er mit den Taliban verhandeln und ein Abkommen unterzeichnen. Die Regierung in Kabul, von den Taliban als Marionette des Westens betrachtet, ließ Trump dabei außen vor. Das war und ist eine schwere Belastung für die inner-afghanischen Friedensgespräche zwischen Regierung und Taliban in Doha. Das Druckmittel, das die Islamisten unverhohlen einsetzen, sind weiteres militärisches Vorrücken und Gewalt. Sie kontrollieren bereits mehr als die Hälfte des Landes, verüben - trotz des Abkommens mit den USA - weiterhin Anschläge. Daneben sind auch Terrorgruppen, wie etwa der islamistische Staat, oder regionale Kriegsfürsten aktiv. Abziehen oder bleiben, lautet die Kernfrage für die Nato-Verbündeten. Dabei kommt es nun vor allem auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden an. Zögen sich die US-Truppen zurück, wäre auch die Sicherheit der Partner nicht mehr zu gewährleisten. Bliebe die militärische Präsenz jedoch erhalten, müsste auf jeden Fall mehr für die Sicherheit der Truppen getan werden. Vor allem jedoch braucht der Westen endlich ein Konzept für den Afghanistan-Einsatz. Weiterhin viele Milliarden Dollar nach Kabul zu überweisen, die dann zumeist in dunklen Kanälen landen, reicht nicht aus.

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