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Staatliche Luftpiraterie
Die erzwungene Landung eines Passagierjets in Minsk und die Verhaftung eines weißrussischen Regimekritikers verlangen eine klare Antwort des Westens. Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Dass zivile Passagiermaschinen in der Luft gekapert und zur Landung auf einem anderen Airport gezwungen werden, kannte man lange nur von international geächteten Terroristen. Das Schicksal der deutschen Lufthansamaschine "Landshut" im Oktober 1977 hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben.

Offenbar hat der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko mit der erzwungenen Landung eines Ryanair-Flugzeuges in Minsk und der Verhaftung eines Regimegegners einen Akt staatlicher Luftpiraterie begangen. Natürlich müssen zuerst die genauen Hintergründe und Abläufe des Vorfalls untersucht werden. Aber freilich deutet bereits jetzt vieles darauf hin, dass Lukaschenko selbst den gefährlichen Eingriff in den zivilen Luftverkehr zu verantworten hat. Im autoritär regierten Belarus steigt kein Kampfjet so einfach auf, um einen Ferienflieger mit 100 Menschen an Bord zur Kursänderung zu zwingen. Es sei denn, der Diktator gibt den Befehl zu diesem offenkundigen Fall von Staatsterrorismus.

Der weißrussische Geheimdienst hatte zuvor offenbar jeden Schritt des oppositionellen Bloggers Roman Protasewitsch im Exil überwacht - und dann zugeschlagen, als der in der fraglichen Maschine saß. Die weißrussische Erklärung, es habe eine Bombendrohung gegeben, klingt wie vom Minsker KGB erdacht. Der Zielflughafen im litauischen Vilnius wäre dabei sogar näher gewesen als der "Umweg" zum belarussischen Hauptstadt-Airport. Und statt einer Bombe an Bord fand man, welch ein Zufall, einen namhaften Regimekritiker. Dass der Ryanair-Pilot zudem mit der unverhohlenen Drohung zur Kursänderung gezwungen wurde, man werde das Flugzeug andernfalls abschießen, erhärtet den Verdacht von oben angeordneter Luftpiraterie.

Die Botschaft des Minsker Machthabers und seines Sicherheitsapparates ist vor allem an die Protestbewegung innerhalb und außerhalb des Landes gerichtet: Egal, wohin ihr geht, wir kriegen euch. Dass es zum verhafteten Blogger bislang keinen Kontakt gibt, ist ebenfalls besorgniserregend. Die ins Exil gegangene Anführerin der Lukaschenko-Gegner Swetlana Tichanowskaja warnt völlig zu recht davor, dass man nun nicht nur um die Freiheit, sondern auch das Leben von Protasewitsch fürchten muss. Der entführte 26-jährige Regimekritiker wäre nicht der erste, der spurlos in einem weißrussischen Gefängnis verschwunden ist. Lukaschenko geht mit brutaler Härte gegen die unabhängigen Medien und ihre Macher vor, die so ganz anders über die Proteste im Land berichten als die staatlich kontrollierten Medien.

Der brisante Zwischenfall dürfte auch das Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten bestimmen. Die westlichen Demokratien dürfen sich diesen schweren Eingriff in den internationalen zivilen Luftverkehr nicht bieten lassen. Bereits vor der erzwungenen Landung der irischen Maschine in Minsk gab es Sanktionen gegen Belarus. 90 Mitglieder von Lukaschenkos Regierungsapparat sind mit EU-Reiseverboten und Kontensperrungen belegt worden. Und eigentlich waren für 50 weitere hohe weißrussische Offizielle ebenfalls bereits Sanktionen geplant. Im Lichte der jüngsten Vorfälle scheint dies jedoch völlig unzureichend als Reaktion. Die EU-Spitzen müssen nun auch die Frage klären, ob nicht der Minsker Diktator selbst mit harten Sanktionen belegt werden muss.

Zugleich ist klar, dass sich Lukaschenko nur dank des Rückenhalts aus dem Kreml an der Macht halten kann. Einen demokratischen Umsturz im westlichen Nachbarland fürchtet Wladimir Putin offenbar genau so wie die Veränderungen in der Ukraine. Putin und Lukaschenko sind zwar keine wirklichen Freunde, doch zur Rettung seines Regimes würde der Machthaber in Minsk sogar russische Panzer ins Land lassen. Die EU braucht eine wirksame und flexible Strategie für die beiden unbequemen Nachbarn im Osten Europas.

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