Das völlig verrückte Wahljahr 2021
Von Christine Schröpf
Regensburg (ots)
Flugverrückte Greenpeace-Aktivsten erleben es wie Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock oder Ministerpräsident Markus Söder: Das eigene Ansehen kann rasch von "nahezu unanfechtbar" in die Kategorie "unter verschärfter Beobachtung" absinken. Extreme Empörungsbereitschaft in Teilen des Publikums wirkt als Turbo. Das Wahljahr 2021 ist auch pandemiebedingt eine Zeit hoher Aufgeregtheiten und vieler Ungewissheiten. Gelassenheit ist in dieser Lage das dringende Gebot - auch um die wichtigen Probleme von den weniger wichtigen zu trennen und sich auf gute Lösungen zu konzentrieren.
Zu den Dingen, die zügig abgehakt werden können, zählt der Fall des Greenpeace-Aktivisten, der vor dem EM-Spiel Deutschland gegen Frankreich in der Allianz-Arena eine gefährliche Bruchlandung hingelegt hat. Alles, was über das dämliche Manöver zu sagen ist, ist gesagt. Gleiches gilt für die Affäre um den unkorrekten Lebenslauf Baerbocks oder ihre verzögerten Angaben zu Nebeneinkünften. Sie hat sich entschuldigt, die politischen Gegner haben die Sache ergiebig seziert - hart an der Grenze, teils darüber hinaus. Womit wir auch bei der CSU sind, die eigentlich mit eigenen Problemen beschäftigt ist. Parteichef Markus Söder - lange hoch anerkannter Corona-Manager - ist in Zeiten sinkender Inzidenzen ein wenig ins Trudeln geraten, da von seinen Lockerungsschritten nicht alle gleich profitieren.
Das Leben hat oft eine sehr feine Ironie: Söder wird - wie Greenpeace und Baerbock - an den eigenen sehr hohen Maßstäben gemessen. Er läuft in eine politische Falle, die er sich selbst gestellt hat. Sein Twitter-Gruß aus der mit rund 13 000 EM-Fans besetzten Allianz-Arena provozierte böse User-Kommentare. Er steht auch im scharfen Kontrast zur "Umsicht und Vorsicht", die offensichtlich bei der EM anders interpretiert werden, als beim Regensburger Strandkorb-Festival, bei dem 500 Besucher das Limit und 1000 schon unannehmbar sind. Der Schwarze Peter dafür wird gerade hin und hergeschoben. Dabei schaut es für junge Leute in Corona-Zeiten ohnehin schlecht aus. Die jüngste bayerische Corona-Verordnung erlaubt zwar Speisegastronomie auch drinnen bis 24 Uhr - doch das freut eher die etwas Älteren und treibt eine Kluft zwischen die Generationen. Ein Fehler, den Söder allerdings nicht allein zu verantworten hat. Coronagerechte Optionen sind auch von den Kommunen zu liefern.
Gute Lösungen könnten Erregungskurven abflachen. Das ist wichtig, weil die Pandemie nicht ausgestanden ist. Die Delta-Variante ist bereits für zehn Prozent der Fälle in Bayern verantwortlich - und für über ein Dutzend im Raum Regensburg. Die ansteckende Mutante, gegen die erst die Zweifach-Impfung gut schützt, wird sich nach britischen Erfahrungen wohl durchsetzen. Dort sind die Inzidenzen trotz deutlich höherer Impfquote bereits so stark gestiegen, dass Lockerungsschritte vertagt sind. Dabei ist Premier Boris Johnson nun wirklich nicht als übervorsichtig bekannt.
Das sollte für die viel zu vielen Dauer-Empörten ein Denkanstoß sein. Vor allem, da die Impfkampagne hierzulande mangels Impfstoff stottert. Der jüngste Rückschlag: Die Tübinger Biotech-Firma Curavec musste melden, dass die Wirksamkeit ihres dringend erhofften neuen Impfstoffs laut Zwischenbericht bei nur 47 Prozent liegt.
All das ist kein Grund zur Panik - aber zur unbedingten Besonnenheit, bei Politikern wie bei Bürgern, bei Jung wie bei Alt, bei Rechts wie Links. Das Bundestagswahljahr ist der schlechteste Zeitpunkt für unnötige Gefechte und Zündeleien. Und ja: Auch Mahner wie Greenpeace, Baerbock und Söder sind wichtig, obwohl ihr Image für den Moment ramponiert ist.
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