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Geläuterte "Gurkentruppe"?/ Der FDP eröffnet sich als Teil der Ampel eine riesige Chance - sofern die Liberalen nicht wieder in der Regierungsverantwortung als reine Klientelpartei gerieren.

Regensburg (ots)

Der damalige Generalsekretär Werner Hoyer erwies im Bundestagswahlkampf 1994 der FDP einen Bärendienst, als er eine Wahrheit aussprach. Seine Aussage "Wir sind die Partei der Besserverdienenden", die ursprünglich ironisch gemeint war, aber verkürzt zitiert und polemisch ausgeschlachtet wurde, avancierte zum geflügelten Wort und haftete den Liberalen lange an wie Baumharz den Fingerkuppen. Sie galten (und gelten) als gusseiserne Interessenvertreter jener, die dem Zeitgeist gemäß dem freien Spiel der Marktkräfte und einer umfassenden Deregulierung huldigen.

Nun ist es gewiss nicht so, dass sich die Freien Demokraten mit dem unmittelbar bevorstehenden Eintritt in eine Ampelkoalition einer Häutung unterziehen. Zum sozialen Gewissen des neuen Bündnisses taugen sie sicherlich nicht. Diese Rolle kommt der SPD zu, da sich die Grünen - ihrer Programmatik zum Trotz - mit ihrer kompromisslosen Fixierung auf ökologische Themen in Fragen der gesellschaftlichen Gerechtigkeit zumindest in der Vergangenheit als erstaunlich schmerzfrei erwiesen haben. Man denke nur an ihre Duldung, ja Unterstützung der tiefgreifenden schröderschen Sozialreformen im Zuge der sogenannten Agenda 2010 und das Stichwort Hartz IV.

Die FDP hat es zweifelsohne verstanden, sich in den vergangenen Jahren geschickt zu positionieren. Sie hat in der Pandemie mit dem Pochen auf Grund- und Freiheitsrechte ihre rechtsstaatlichen Wurzeln, die fast schon verkümmert waren, revitalisiert, ohne dabei mit schrillen Tönen à la AfD die bürgerliche Mitte zu verschrecken. Sie hat überdies das Image der längst wieder in die politische Bedeutungslosigkeit abgeglittenen Piratenpartei gekapert und sich erfolgreich als Innovationstreiber auf dem digitalen Sektor inszeniert. Das kam prima an, zumal in der jungen Wählerschaft, die Christian Lindners personell ausgedünntem und in Exekutivfunktionen unerfahrenem Verein, dem es überdies an Frauen in Spitzenpositionen gebricht, einen gewaltigen Vertrauensvorschuss spendierte. Diese Liaison könnte sich als Missverständnis erweisen.

Ein Blick zurück lohnt: Die gemeinsame sozialliberale Regierungszeit von SPD und FDP in den Jahren 1969 bis 1982 war geprägt von einer neuen Ostpolitik und der Entspannung, jedoch mindestens genauso vom Aufbrechen gesellschaftlicher Verkrustungen in der alten Bundesrepublik. Solche Verkrustungen existieren auch aktuell, doch wurden in der Merkel-Ära viele Themen wie die überfällige Ehe für alle bereits abgeräumt. Bleibt für Rot-Grün-Gelb als zentrales Projekt der entschlossene ökonomisch-ökologische Umbau des Staatswesens.

Und hier ist eine Sollbruchstelle im Bündnis angelegt, personifiziert durch den designierten Finanzminister Lindner und seinen natürlichen Antipoden im Kabinett, den kommenden Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck. Es ist vorerst schwer vorstellbar, dass die FDP, die der Koalitionsvereinbarung einen kräftigen gelben Anstrich verpassen durfte, in Konfliktfällen ihre neoliberale DNA verleugnet. Allzu frisch sind noch die Erinnerungen an ihre völlig missratene Regierungsbeteiligung von 2009 bis 2013, in der sie als reine Klientelpartei den Partner CDU/CSU mit penetranten Steuersenkungsfantasien nervte und von der Union zuletzt als "Gurkentruppe" verhöhnt wurde. Der Wähler quittierte diese dürftige liberale Performance bekanntlich mit der vorübergehenden Verbannung aus dem Parlament.

Sofern die FDP jedoch ihren althergebrachten marktradikalen Reflexen entsagt, tut sich ihr eine riesige Chance auf, sich in der Ampel mit der oft zitierten Versöhnung von Ökonomie und Ökologie dauerhaft als starke Kraft der politischen Mitte zu etablieren. Die kategorische Ablehnung eines generellen Tempolimits weist indes nicht in diese Richtung. Mittlerweile darf sogar als fraglich gelten, ob die Gruppe der Besserverdiener den Liberalen solche Manöver dankt.

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