BLOGPOST: Virtual Reality und 360-Grad-Videos: "Wie im Theater"
Virtual Reality und 360-Grad-Videos sind die Zukunft. Das sagen zumindest die Zahlen: Laut dem Beratungsunternehmen KZero wird die weltweite Zahl der Nutzer von 43 Millionen im Jahre 2016 auf 171 Millionen im Jahre 2018 steigen. KZero sagt außerdem voraus, dass der Umsatz von VR-Hard- und Software in diesem Jahr 4,3 Milliarden US-Dollar betragen wird. Klar, dass auch Kommunikationsprofis an diesem Trend interessiert sind. Was ist drin für PR und Storytelling? TREIBSTOFF liefert einen Überblick.
Was sind eigentlich VR- und 360-Grad-Videos?
Daniel Guthor, Geschäftsführer von Aspekteins, liefert folgende Definition: "Als 360-Grad-Video bezeichnen wir ein real gefilmtes Video, das es dem Zuschauer erlaubt, sämtliche Perspektiven im 360-Grad-Raum zu erkunden. Er kann sich also frei umschauen, während das Video linear abläuft. Wenn das 360-Grad-Video nicht aus realen sondern computergenerierten Inhalten erstellt ist, sprechen wir von einem Virtual-Reality-Video. VR ist in diesem Fall ein computergeneriertes Abbild der realen Welt, die in einem 360-Grad-Raum interaktiv erfahrbar ist. Entsprechende Software vorausgesetzt kann der Nutzer auch auf nichtlineare Weise den Ablauf des 360-Grad-Videos - etwa über das Aktivieren von Hotspots und anderen Interaktionsfeatures - selbst gestalten." Schaut sich der Nutzer ein VR-Video mit einer VR-Brille an, verstärkt sich die sogenannte Immersion, also das Gefühl des Mittendrinseins.
Wie funktioniert es?
Die Technik bei einer VR-Produktion ist um einiges aufwendiger als bei herkömmlichen Video-Produktionen. Für die Aufnahme eines vollsphärischen 360-Grad-Videos sind mindestens zwei Weitwinkelkameras nötig. Das Filmen erfolgt simultan. Die Kameras müssen dabei so ausgerichtet sein, dass sich die Einzelbilder überlappen.
Damit wird erreicht, dass sie eine komplette Sphäre abdecken und simultan alle wahrnehmbaren Perspektiven für den Rundumblick erzeugen. Das Aufzeichnen einer computergenerierten Welt in einem VR-Video funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Hier nimmt eine virtuelle Kamera in einem 3-DSzenario mehrere virtuelle Perspektiven auf, die als Grundlage zur Erstellung eines virtuellen 360-Grad-Videos dienen. In der Postproduktion werden dann die verschiedenen Kameraaufzeichnungen auf Bild, Zeit und Ton synchronisiert, geschnitten und mittels einer speziellen Software zu einem planen Video zusammengeführt. Das Zusammensetzen der Einzelaufnahmen bezeichnet man als Stichling.
Welche Einsatzmöglichkeiten gibt es?
Mittels Virtual Reality können Unternehmen ihre Produkte oder Prozesse für die jeweiligen Zielgruppen unmittelbar erfahrbar machen. Vom Vertrieb über Marketing und Kommunikation bis hin zu Schulung und Recruiting: Einsatzgebiete für VR-Videos gibt es viele. Groß sind die Erwartungen der Unternehmen: Im Wesentlichen verspricht man sich mehr Umsatz, aber auch Imageverbesserung und Effizienzsteigerung sowie einen emotionalen Zugang zu Produkten und Dienstleistungen. Immer mehr Unternehmen probieren die neue Technologie aus:
- Google gibt mit der 360-Grad-Produktion "Google Data Center Tour" Einblicke in die Firmenzentrale und die beeindruckende Server-Welt des Konzerns.
- Thomas Cook bietet seinen Kunden in ausgewählten Reisebüros virtuelle Urlaubstrips und Hotelrundgänge an.
- Die Kunden von Audi können mit der Audi VR experience bei bestimmten Händlern ihr eigenes Wunschauto virtuell konfigurieren und Probe fahren.
- Bayer setzte zu Recruiting-Zwecken 360-Grad-Videos bei der diesjährigen CeBIT ein, um für Bewerber die verschiedenen Fachbereiche des Konzerns erlebbar zu machen.
- Bahlsen lässt in dem 360-Grad-Video "Sweet Kitchen-Fabrik Tour" hinter die Kulissen der neuesten Keks-Produktion blicken.
Was muss man bei der Konzeption bedenken?
Mit VR-Videos ändern sich bisherige Sehgewohnheiten. Denn anders als bei herkömmlichen Formaten wird der Zuschauer zum aktiven User. Er bestimmt seinen Blickwinkel selbst - ob durch das Drehen des Körpers beim Betrachten mit einer VR-Brille, das Bewegen des Mauscursors oder das Hin- und Herschwenken des Smartphones. Das macht das Gesehene aber nicht automatisch interessant. Die kreative Herausforderung ist, nicht nur einen "Rundumblick" anzubieten, sondern dem Nutzer ein Abtauchen in die virtuelle Welt zu ermöglichen. Um ein hohes Maß an Immersion zu erreichen, ändert sich folglich auch das Storytelling. Der Zuschauer muss Zeit bekommen, sich im Raum orientieren zu können. Um die Spannung aufrechtzuerhalten, sollten die einzelnen Schnitte aber nicht zu lang sein.
"Die Erzählstruktur eines VR-Videos ist viel näher am Theater und am Ballet", so Daniel Guthor von Aspekteins. "Eine der Hauptaufgaben bei der Konzeption ist es, das räumliche Erleben handhabbar zu machen. Dies kann etwa mit visuellen und auditiven Hinweisen geschehen, die dem Zuschauer ermöglichen, sich zu orientieren und den Hinweisen zu folgen, die er erhält." Guthors Kollege Maik Seifert, Produktionsmanager und Kameramann bei erlesen.tv ergänzt: "Die Drehorte müssen vorher genau gesichtet werden. Denn in einer 360-Grad-Aufnahme lassen sich beispielsweise Umgebungsabschnitte oder Menschengruppen nur schwer verstecken." Auch müsse der Ton besonders berücksichtigt werden, so Seifert: "Denn was der Zuschauer sieht, möchte er auch hören. Die Immersion lässt sich mit dem richtigen Ton aus der jeweiligen Blickrichtung noch weiter verstärken."
Was muss man bei der Produktion beachten?
Das Besondere an einer 360-Grad-Produktion: Es gibt kein vor und hinter der Kamera mehr. "Vom Lichtaufbau bis zum Bühnenbau: Der Zuschauer sieht zunächst alles, was nicht in der Postproduktion entfernt oder hinzugefügt wird", erklärt Guthor. Somit funktionieren viele herkömmliche Stilmittel und Techniken nicht mehr (etwa Einstellungsgrößen wie Close-Up oder Totale, Frosch- oder Vogelperspektiven, Tiefenschärfe, Schwenks, Zooms). Das impliziert eine Reihe von neuen Stilmitteln, die sich noch beweisen müssen. Vorbildfunktion könnten Computerspiele mit 3D-Interface-Design haben. Noch ist nicht klar, wo die Reise hingeht. Auch das Datenvolumen bei VR- bzw. 360-Grad-Produktionen ist um ein Vielfaches größer als bei herkömmlichen Videos. Um in der Postproduktion eine HD-Auflösung zu realisieren, empfiehlt Maik Seifert für die Aufnahmen eine Auflösung von bis zu 4K.
Kosten
Die Kosten einer professionellen VR-Produktion sind aktuell noch erheblich höher als bei einer herkömmlichen Videoproduktion. "Die Preise starten bei etwa 6.000 Euro, wobei die Grenzen nach oben offen sind", so Guthor. "Die durchaus signifikanten Unterschiede in den Aufwänden sind bedingt durch den gesamten Produktionswert: Konzeption, Planung, Durchführung, externe Dienstleister und Komplexität der Postproduktion", erklärt Guthor. "Hochpreisige Produktionen beinhalten in der Regel eine längere Laufzeit, aufwendige Stitchings, komplexe Lichtszenarien und Perspektiven, komplexe Schnitte und Effekte in 360-Grad. Grundsätzlich empfehlen wir eine Budgetierung von nicht weniger als 25.000 Euro, sofern ein Endergebnis in der oberen Liga angestrebt wird."
Heutige Grenzen
Trotz großer Fortschritte gibt es bei der Technologie noch viel Potenzial nach oben. Die hohen Datenübertragungsraten bei der Wiedergabe führen immer wieder zu Performanceproblemen, insbesondere bei mobilen Endgeräten. Hinzu kommt, dass bei der Wiedergabe über Displays mit Linsen noch häufig Bildpunkte zu erkennen sind. Beides wirkt sich auf die Qualität der Immersion aus, die sich zum heutigen Zeitpunkt zudem noch auf Visuelles und Auditives beschränkt. Für Daniel Guthor liegt die größte Herausforderung aber darin, beim Zuschauer eine neue visuelle Sprachform zu verankern: "Heutige Sehgewohnheiten, wie wir sie aus Film und TV kennen, haben Jahrzehnte gebraucht, um sich zu etablieren. Dieses intuitive Verständnis müssen wir für die Wahrnehmung von Virtual Reality noch lernen. Es wird eine der maßgeblichen Evolutionsstufen innerhalb des Massenmarktes für VR sein."
Dieser Beitrag ist ein Original-Blogpost aus TREIBSTOFF: http://treibstoff.newsaktuell.de/virtual-reality-und-360-grad-videos/
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