BLOGPOST Pressefotos: Von der Kunst, skurrile Momente einzufangen
Was ist das Geheimnis ausgezeichneter Pressefotos? Sie berühren uns. Doch es muss keineswegs immer das große Drama sein. Viel wirkungsvoller sind die scheinbar unspektakulären Momente, die erst auf den zweiten Blick ihre volle Kraft entfalten. Wie zum Beispiel das Bild von Jens Büttner. Es zeigt die letzte Kuh eines Milchbauern, der seinen Stall wegen der anhaltenden Milchkrise schließen muss. Der dpa-Fotograf gewann dafür den ersten Preis bei den dpa-Bildern des Jahres in der Kategorie Wirtschaft. In TREIBSTOFF erzählt Jens Büttner, warum es so schwer war, die Kuh vor die Linse zu bekommen.
TREIBSTOFF: Wie ist Ihr dpa-Bild des Jahres entstanden?
BÜTTNER: Seit mehr als drei Jahren spielt das Thema Milchkrise in vielen Medien eine größere Rolle. Suchte man mit dem Begriff Milchkrise oder Milchwirtschaft nach Fotos in der Bilddatenbank, fanden sich viele Fotos von Politikern und Bauernpräsidenten bei Pressekonferenzen oder EU-Tagungen. Fotos zu aktuellen Zuständen in Kuhställen oder Milchbetrieben gab es dagegen nicht so viele. Zwar mussten Bauern ihre Milchkühe zum Schlachter schicken, dabei fotografieren lassen wollten sie sich aber nicht. Wir haben dann im Frühjahr 2016 einen Betrieb bei Schwerin gefunden und den verhältnismäßig jungen Chef mit der etwas provokanten Frage konfrontiert, welches Foto er sich in fünfzig Jahren in einem digitalen Geschichtsbuch zum Thema "Milchkrise 2016" vorstellen würde: Optimistische Agrarpolitiker beim Pressestatement hinter Mikrofonen oder aber einen enttäuschten Melker im leeren Kuhstall? Seit zwei Jahren fotografiere und filme ich nun in einem Langzeitprojekt vom letzten Melken bis zum Abriss der Stallanlagen und begleite einige der ehemaligen Mitarbeiter (und eine Kuh) auch weiter. Das Foto entstand an dem Tag, als die letzten Kühe vom Viehhändler aus der Anlage abgeholt wurden.
TREIBSTOFF: Was war dabei die größte Herausforderung?
BÜTTNER: Das größte Problem war, einen Landwirt zu finden, der mir und der freien Textkollegin die Stalltür öffnet. Auch wenn die Bauern nicht die Hauptschuld an der Milchkrise tragen, fühlen sie sich doch trotzdem als Verlierer. Und nur wenige wollen sich bei ihrem beruflichen und auch persönlichen Scheitern fotografieren oder interviewen lassen.
TREIBSTOFF: Welcher Auftrag in Ihrer dpa-Laufbahn ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
BÜTTNER: Ich konnte glücklicherweise viele bedeutende Ereignisse als Fotograf erleben. Olympische Spiele, Formel Eins oder auch mehrere Einsätze bei Großereignissen waren anspruchsvolle journalistische Herausforderungen. Persönlich ist mir aber eine Reportage in einer Drogenklinik in Erinnerung geblieben. Da verabschiedete sich eine junge Patientin zum Schluss mit dem Satz: "Danke für Ihren Besuch und dass Sie sich für mich interessiert haben".
TREIBSTOFF: Welches Ihrer Bilder ist Ihr persönliches Lieblingsbild? Warum?
BÜTTNER: Also, DAS FOTO habe ich jetzt nicht über dem Schreibtisch hängen. Ich versuche - egal bei welchem Termin oder Thema - immer auch Motive neben den eigentlichen Nachrichtenfotos zu finden. Mein persönlicher Wettbewerb heißt "Das Bild des Tages", gegen 20:00 Uhr werde ich dann immer unruhig wenn noch keines auf der Speicherkarte ist (grinst). Eine Zeit lang liefen diese Fotos dann immer als Slide-Show auf meinem Laptop. Könnte man mal wieder einrichten oder sich doch mal bei Instagram anmelden.
TREIBSTOFF: Wann ist für Sie ein Pressebild ein herausragendes Pressebild?
BÜTTNER: Ein gutes Pressefoto muss Emotionen transportieren. Das muss nicht immer mit Tränen, Jubel oder Angst verbunden sein. Ein müder Wahlhelfer am Rande des zigsten Kanzlerinnenauftritts, der Denkmalschützer, der in einem scheinbar unbeobachteten Moment mit verliebtem Blick über das restaurierte Treppengeländer streichelt, oder auch die einsame Gummischürze des Melkers im leeren Stallgang. Und ich finde, Witz und Originalität gehören unbedingt dazu, sowohl für den Betrachter aber auch für den Fotografen selbst. Es gibt oft skurrile Momente, die "nur" entdeckt werden müssen.
TREIBSTOFF: Welche Trends sehen Sie aktuell in der Pressefotografie?
BÜTTNER: Zum Glück gibt es heute immer weniger "Beweisfotos", also Bilder, die nur das abbilden, was im Text bereits vermeldet wurde. Dank gutem Fotohandwerk und neuer Fototechnik wie Drohnen oder lichtstarker Objektive entstehen heute viele Pressefotos mit einem sehr hohen Schauwert. Das finde ich toll, denn nur so kann sich die professionelle Pressefotografie von den alltäglichen Bilderfluten im Internet oder Fernsehen abheben. Und Pressefotografie ist mutiger geworden. Sportfotos mit sehr viel Unschärfe, Politiker auch abseits der offiziellen Fototermine oder attraktive Motive aus dem Alltagsleben finden sich immer öfter und werden - zum Glück - auch repräsentativ gedruckt.
TREIBSTOFF: Stichwort Social Media: Wie beeinflussen Instagram und Co. die professionelle Fotografie?
BÜTTNER: Heute wird überall alles fotografiert. Das hat zu einer spürbaren Visualisierung nicht nur in den Medien geführt. Fotos - egal wer es fotografiert hat - verbreiten sich heute in Windeseile in den sozialen Netzwerken. Da spielen Qualität, journalistische Maßstäbe oder auch presserechtliche Fragen oftmals eine untergeordnete Rolle. Klickzahlen werden zum neuen Gradmesser für die Bewertung von Bildern. Das ist bei aller Euphorie auch eine bedenkenswerte Entwicklung. Grundsätzlich ist es aber gut, dass die Fotografie heute wieder einen höheren Stellenwert hat.
Dieser Beitrag ist ein Original-Blogpost aus TREIBSTOFF:
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Was ist TREIBSTOFF?
TREIBSTOFF ist das Blog der dpa-Tochter news aktuell. Es geht dort um die Themen Kommunikation, Pressearbeit und Social Media. Und manchmal auch um news aktuell selbst. Welche Trends, welche Apps, welche Themen bewegen Kommunikationsfachleute heute? Wie sieht unser Arbeitstag aus? Was ist wichtig für die Karriere? Best Practice, Interviews und Gastbeiträge warten auf PR-Profis und Pressesprecher. Ein Mal pro Quartal gibt es TREIBSTOFF auch als gedrucktes Magazin.