BLOGPOST: Impuls des Monats: Wie wir uns selbst täuschen
Im vergangenen Jahr hat der Philosoph Jörg Bernardy in unserem Blogformat " Impuls des Monats " seinen Blick auf Themen gerichtet, die uns in einer außergewöhnlichen Zeit beschäftigt haben: vom " Gesunden Egoismus " bis zu der " Dunklen Seite ". Nach vielen Rückfragen setzen wir dieses Format auch 2021 fort – und beginnen mit einer menschlichen Portion Selbstüberschätzung. Oder warum denken wir häufig "Mir passiert schon nichts"?
Wie wir uns selbst täuschen
Ob Scheidungen, Krebs, finanzieller Ruin, persönliche Krisen oder Verkehrsunfälle, bei vielen Dingen gehen wir wie selbstverständlich davon aus, dass es uns schon nicht treffen wird. Nicht nur messen wir gerne mit unterschiedlichem Maß, wir tendieren dazu, seltene Ereignisse zu überschätzen und unterschätzen dafür Wahrscheinliches.
Statistiken und Fakten interessieren sich nicht für unsere Gefühle
Obwohl durchschnittlich jeder zweite Mann und zwei von fünf Frauen von einer Krebsdiagnose betroffen sind, verschätzen wir uns, wenn es um unser persönliches Krebsrisiko geht. Häufig sind wir sogar blind für unsere wahrscheinlichsten Todesursachen. Wir fürchten vielleicht den Tod durch schockierende Terroranschläge, Geisterfahrer oder durch einen rasanten Fußgängerunfall. Aber ein Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigt: In Deutschland sterben die meisten Menschen an Herzkrankheiten, Bewegungsmangel, schlechter Ernährung und an den Folgen von Rauchen und Alkohol. Doch ängstigen wir uns gerade davor häufig am wenigsten, weil die spürbaren Konsequenzen meist weit in der Zukunft liegen.
Uns fehlt eine solide Risikokompetenz
„Unser Bildungssystem ist erschreckend blind im Hinblick auf Risikointelligenz“, meint der Psychologe und Risikoforscher Gerd Gigerenzer. Niemand bringt uns statistisches Denken oder einen emotional intelligenten Umgang mit unseren Ängsten und Wünschen bei. Wir folgen häufig einfach unserem Hang, sogenannte Schockrisiken mehr zu fürchten als alles andere. Aus diesem Grund haben wir mehr Angst vor Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen als vor Motorrad- und Autounfällen. Was absurd ist, denn im Straßenverkehr kommen jedes Jahr mehr Menschen um als bei allen Terroranschlägen und Flugzeugabstürzen zusammen.
Wir unrealistische Optimisten
Unrealistischer Optimismus nennen Psychologen unseren Hang zu der Annahme, dass uns schon nichts passieren wird. Solche optimistischen Fehlschlüsse sind übrigens auch beim Klimawandel und bei der Einschätzung unserer Zukunft insgesamt weit verbreitet. Wir wissen zum Beispiel, dass Spanien, einige Regionen in Deutschland und türkische Großstädte wie Istanbul, Ankara und Izmir bereits mit Wasserknappheit zu kämpfen haben. Auf der ganzen Welt und auch in Europa häufen sich Unwetter aller Art. Trotzdem halten viele Menschen weiterhin an ihrem inneren Mantra fest, dass es sie schon nicht treffen wird.
Die anderen werden es schon richten
Die andere Seite des „Mir passiert schon nichts!“ ist übrigens die innere Überzeugung „Die anderen werden es schon richten!“ Ob in der Finanzkrise von 2007/08, beim Klimawandel oder in der Corona-Krise: Wir verlassen uns darauf, dass andere sich darum kümmern. In der Psychologie ist dieses Verhalten auch bekannt als Bystander-Effekt (dt. Zuschauer-Effekt). Je mehr Zuschauer beispielsweise bei einem Unfall anwesend sind, desto mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass einem schnell geholfen wird. Beides sind zwei weit verbreitete Arten der Selbsttäuschung, sowohl das „Mir passiert schon nichts“ als auch das „Die anderen werden es schon richten“.
Empathieverweigerung ist eine Frage der Gewohnheit
So angenehm, pragmatisch und unbemerkt unser „Mir passiert schon nichts“ im Alltag auch sein mag, letztlich steckt dahinter nicht selten ein ausgewachsener Empathiemangel. Oder besser gesagt: eine Empathieverweigerung gegenüber Fakten, gegenüber der Natur und unserer Zukunft. Psychoanalytiker würden sogar behaupten, dass uns dabei letztlich die Empathie für die wichtigste Ressource in unserem Leben fehlt: uns selbst gegenüber. Mit unseren Selbsttäuschungen einhergeht die konsequente Verdrängung der dunklen Seiten des Menschen. So wie wir die wahrscheinlichen Gefahren und Risiken unserer Zukunft ausblenden, genauso täuschen wir uns über unsere dunklen Seiten hinweg. Gerade die müssten wir uns aber genauer anschauen und besser verstehen, wenn wir die Krisen und Probleme der Zukunft bewältigen wollen.
„Die Selbsttäuschung beherrscht der Mensch noch sicherer als die Lüge.“ (Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 - 1881)
Dieser Beitrag ist ein Original-Post aus dem news aktuell Blog:
https://treibstoff.newsaktuell.de/impuls-des-monats-wie-wir-uns-selbst-taeuschen/
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