BLOGPOST: Die Büroarchitektur der Zukunft
Viele Unternehmen arbeiten seit der Pandemie an neuen Arbeitskonzepten. Dazu gehört auch die Neukonzeption der Büros. Denn zukünftig werden immer mehr Arbeiternehmer einen Teil ihrer Arbeitszeit nicht mehr vor Ort verbringen. Ganz nach dem Motto: "Daheim das konzentrierte Arbeiten, im Büro die Gemeinschaft, der Austausch, die Entwicklung und Kreativität". Wie wird die Büroarchitektur der Zukunft aussehen? Darüber sprachen wir mit Timo Brehme vom Münchner Beratungs- und Architekturunternehmen CSMM – architecture matters.
news aktuell: Sie sind u.a. spezialisiert auf Büroarchitektur. Haben sich die Anfragen an Sie durch die Pandemie-Erfahrung in den letzten Monaten erhöht? Oder anders gefragt: Glauben Sie, dass hier bereits ein breites Umdenken stattfindet und Neugestaltungskonzepte konkret in der Breite in Angriff genommen werden? Oder fährt die Mehrheit der Unternehmen doch weiter auf Sicht?
Brehme: Das „neue Normal“ wird ein anderes sein als vor COVID. Die Ausnahmesituation hat den Paradigmenwechsel für Mitarbeitende als auch für Unternehmen beschleunigt. Zudem eröffnet sie die Chance, tradierte Prozesse zu überprüfen und neue Wege in der Arbeitswelt einzuleiten. Tatsächlich haben wir aktuell viele Anfragen von Firmen, die ihr Büro an die veränderten Bedingungen und für die Zukunft anpassen wollen. Unternehmen erkennen noch stärker, dass sie Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist anstelle von Zellen zum Abarbeiten benötigen, wenn sie im „War of Talents“ wettbewerbsfähig bleiben wollen. Eine zukunftsorientierte Arbeitsumgebung muss mehr sein als die Kopie oder Abwandlung eines Notwendigkeitsraums in schickem Design. Wir plädieren daher für den Ansatz, künftige Arbeitswelten als Möglichkeitsräume zu konzipieren – ein Ansatz, der den Nutzern dabei hilft, neue Visionen zu entwickeln und zu verwirklichen. Möglichkeitsräume verfolgen primär das Ziel, Innovation zu begünstigen. Sie schaffen dem Menschen eine Umgebung, in der er als soziales und innovierendes Wesen existieren kann. Alles ist in diesem Raum möglich, frei nach dem Prinzip der Serendipität.
news aktuell: Inwiefern haben sich die Bedürfnisse der Mitarbeiter und damit die Anforderungen an Büroräumlichkeiten in den letzten Jahren – auch unabhängig von der aktuellen Pandemie-Situation – verändert?
Brehme: Viele Arbeitnehmer wünschen sich schon lange, flexibler zu arbeiten. Die Corona-Krise hat diesen Trend verstärkt. Und tatsächlich stehen die meisten Arbeitgeber diesem Thema mittlerweile offen gegenüber. Schon vor rund 20 Jahren haben wir von non-territorialen Büros gesprochen, nun kann das entsprechende Fundament für diese Zukunft gelegt werden. Dabei wird die in den vergangenen Jahren begonnene Entwicklung vom Großraumbüro hin zum flexiblen Multi-Space als Möglichkeitsraum die Bürolandschaft künftig prägen. Was darüber hinaus gefragt ist, ist die Förderung von Teamgeist und Innovationsfähigkeit. Unternehmen, die marktfähig bleiben wollen, benötigen dafür entsprechenden Raum.
news aktuell: Welche Funktionen werden Büros entsprechend erfüllen müssen und was bedeutet das für die Gestaltung der Flächen? Vielleicht können Sie uns das mal anhand eines konkreten Praxisbeispiels veranschaulichen?
Brehme: An der Gesamtfläche des Büros wird sich nicht viel verändern – alleine die Verteilung der Fläche für die verschiedenen Funktionen wird sich wandeln. Die persönlich zugeordneten Schreibtischarbeitsplätze werden sich verkleinern zugunsten von wachsenden Flächen, die alle nutzen können; denn diese lassen sich tagesaktuell der jeweiligen Besetzung und den zu erreichenden Zielen entsprechend flexibel anpassen. So bleibt das Büro ein inspirierender Dreh- und Angelpunkt, in dem die Mitarbeitenden selbstbestimmt die Qualität des Arbeitsortes mitgestalten können.
Aber nicht nur das Abstandsthema und flexible Separationsoptionen werden die Planung neuer Büros maßgeblich nach Covid beeinflussen. Gewinner werden auf alle Fälle diejenigen sein, die das Wertschöpfungspotenzial ihrer Mitarbeiter*innen erkennen und fördern. Und die technische und räumliche Voraussetzungen für ein gesundes Arbeiten schaffen.
news aktuell: Stichwort Abstand und Hygiene: Gerade in der Krise haben sich ja die "modernen" Großraumbüros als eher ungeeignet erwiesen, hingegen waren die "altmodischen" Einzelbüros besser geeignet, die Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten. Inwiefern werden die Erfahrungen der Pandemie in die Um- oder Neugestaltung von Büros einfließen?
Brehme: Auch wenn im Moment Abstand das zentrale Leitmotiv ist: Eine Rückkehr zum Einzelbüro ist sehr unwahrscheinlich und auch nicht zielführend in Bezug auf Wohlbefinden, Identifikation und Produktivität der Mitarbeitenden. Wer sich bei der Bürokonzeption bereits im Vorfeld an die Richtlinien für Arbeitsstätten gehalten hat, wird mit den neuen Hygiene- und Sicherheitsstandards durch Corona kaum Schwierigkeiten haben. Diese unterscheiden sich kaum von den DIN- oder ASR-Vorgaben für den Flächenbedarf im Büro. Auch wir mussten unsere Schreibtischplätze nur etwas entzerren. Die größere Herausforderung steckt in den Gemeinschaftsflächen wie den dienenden Räumen (Toiletten), Teeküchen, den Team- und Konferenzräumen. Diese sind heute tendenziell zu klein, um Abstandsregeln einzuhalten. Im Zuge von New Work steigt der Bedarf an gemeinsam genutzten Flächen ohnehin. Das ist ein Trend, den wir schon seit Jahren beobachten. Nur wurde dem nicht in dem Umfang entsprochen, wie es nötig gewesen wäre. Die Pandemie unterstreicht jetzt nur noch einmal die Dringlichkeit.
news aktuell: Die Bedürfnisse der Mitarbeiter waren und bleiben sehr unterschiedlich. Die einen wollen weiterhin hauptsächlich ins Büro und dort auch einen festen, individuell eingerichteten Arbeitsplatz, andere wiederum arbeiten lieber größtenteils mobil/von zu Hause aus, wieder andere möchten ganz flexibel bleiben. Kann ein Büro diesen unterschiedlichen Bedürfnissen überhaupt gerecht werden? Wo liegen bei diesem Spagat die größten Herausforderungen?
Brehme: Die aktuelle Notwendigkeit, Home-Office zu ermöglichen, öffnet vielen Unternehmen die Tür in eine neue Ära des Arbeitens. Firmen, die agile Arbeitsmethoden aufgrund der bestehenden Prozesse bisher nicht in Betracht gezogen haben, erfuhren durch die Umstellung auf ‚Remote Working‘ neue Möglichkeiten. Jetzt geht es darum, daraus eine Zukunftsstrategie zu entwickeln. Viele Aspekte wie fehlende ergonomische Infrastruktur, Zerrissenheit zwischen Familie und beruflicher Verfügbarkeit oder der oftmals fehlende zusätzliche Büroraum in der eigenen Wohnung haben klare Grenzen aufgezeigt. Essentielle Aspekte wie die informelle Kommunikation und die persönliche Interaktion brechen bei dieser Variante meist gänzlich weg.
Home-Office wird sich aus unserer Sicht bei ein bis drei Tagen pro Woche einpendeln. Als Teilaspekt agiler Arbeitsmethoden wird es die anderen Raumszenarien ergänzen, die noch nicht genutzte Potenziale des Unternehmens freisetzen können. Auch wenn sich die Arbeitsleistung im Home-Office gut erbringen lässt, funktioniert Anderes nicht. Viele Menschen vermissen die menschliche Interaktion und den Vorteil, Dinge mitzubekommen, die man auf dem Gang aufschnappt. Zudem: Nur aus dem Home-Office arbeitenden Kollegen fehlt der Geist des Unternehmens. Die enge Bindung zur Firma, das Zusammengehörigkeitsgefühl geht verloren. Mit dem Abklingen der Pandemie wird dieser Ort wieder wichtiger, und man muss sich jetzt auf die Situation danach vorbereiten; denn die Anforderungen an das Büro haben sich geändert: Insbesondere die Flächennutzung zugunsten Qualität und gemeinschaftlicher Kommunikation. Das Office sollte noch attraktiver werden. Der Zusammenhalt wird durch Events erneuert, bei denen die ganze Organisation zusammenkommt. Das Büro soll den Mitarbeitern als optimaler Ort der kollaborativen Zusammenarbeit und sozialen Interaktion dienen, in das sie gerne kommen.
news aktuell: Was sollten Büroplaner unbedingt vermeiden? Was sind die größten Fehler bei der Neu- bzw. Umgestaltung aus Ihrer Erfahrung?
Brehme: Ich glaube, dass sich die Rolle und Bedeutung des Büros grundsätzlich ändern wird, dass das Büro nicht länger der Ort ist, wo die Mitarbeitenden tägliche Routineprozesse abarbeiten. Diese Tätigkeiten werden längst ausgelagert, sei es durch IT, künstliche Intelligenz oder durch Outsourcing an Dienstleister. Stattdessen wird sich das gemeinsame Büro zu einem „Hub & Home“ entwickeln, wie wir bei CSMM sagen. Und: Noch immer planen viele Unternehmen zu oft vom Reißbrett weg, anstatt vorher Teams und Arbeitsabläufe zu analysieren und zu hinterfragen. Je besser das gemeinsame Verständnis von Bedarf und Status quo beim Architekten und späterem Nutzer ist, desto besser lässt sich ein neues Arbeitsumfeld kreieren.
news aktuell: Eigentlich wäre es naheliegend – bedingt durch zunehmend weniger Büropräsenz – eine Tendenz zur Verkleinerung von Büroflächen zu prognostizieren. Ist das wirklich so oder ist das eine Fehlannahme, weil dafür andere Bereiche wie Co-Working Spaces etc. geschaffen werden? Wohin geht die Reise in den kommenden sagen wir zehn Jahren in punkto Büroarchitektur?
Brehme: Mitarbeiter in einem gesunden Arbeitsumfeld sind der Schlüssel für eine gesunde Wirtschaft. Und diesem Grundsatz folgend bietet das Büro der Zukunft nicht nur mehr Raum gerade für jeden einzelnen Mitarbeiter, sondern Flexibilität in räumlicher wie personeller Hinsicht. Stichwort „Wechselarbeitsplätze“. Während Mitarbeiter beispielsweise konzentrierte Schreibarbeiten an mehreren Tagen in der Woche im Home-Office erledigen können, spielen sich Besprechungen und Kreativmeetings in großzügig gestalteten Teamräumen ab. Zusätzlich zu diesen Orten der Begegnung gibt es auch Rückzugsräume für den Einzelnen. Dabei helfen flexible Raumtrenner und Einrichtung die die Möglichkeit des Social Distancings sinnstiftend auffangen. Ergänzt wird dieser Trend zwischen Wechselarbeitsplätzen und Kommunikationsräumen durch die kluge Neuorganisation gemeinschaftlich genutzter Flächen etwa mit Wegweisern und Abstandsmarkierungen. Unternehmen, die einen nicht unbedeutenden Teil an Home-Office-Mitarbeitern haben, sollten nicht zwangsläufig kleinere Büroflächen mieten. Das eingesparte Geld sollte reinvestiert werden. Erstens in das Büro selbst, um es noch attraktiver zu gestalten und zweitens in Events, bei denen die gesamte Organisation zusammenfindet.
news aktuell: Auch nachhaltiges Wirtschaften spielt eine immer größere Rolle bei den Unternehmen. Was können Unternehmen bei der Konzeption und Ausgestaltung ihrer Büros konkret tun, um möglichst Ressourcen zu schonen?
Brehme: Eine nachhaltige Entwicklung von Gewerbeimmobilien berücksichtigt ökonomische, ökologische und sozio-kulturelle Gesichtspunkte gleichwertig. Neben der Verwendung von ökologischen Materialien sowie Energie- und Ressourceneffizienz geht es um die langfristige Nutzbarkeit eines Objekts. Wie kann eine Büroimmobilie so geplant werden, dass sie sich Bedürfnissen wechselnder Mieter leicht anpassen lässt, ihre Nutzung flexibel zu ändern ist und sowohl Um- als auch Rückbau dem Cradle-to-Cradle-Ansatz folgen? Wir plädieren dafür, den Nutzer in den Vordergrund zu rücken und für ihn die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen. Die architektonische Lösung sehen wir in hybriden Bauten, die sich sowohl durch Nutzungsvielfalt und Erlebnisqualität auszeichnen als auch flexibel und dadurch langfristig angelegt sind. Und wenn Unternehmen auf revitalisierten Bestand statt Neubau setzen, leisten sie nicht nur etwas Gutes für die Umwelt, sondern immer öfter für ihr Image.
Zur Person: Timo Brehme ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Münchner Beratungs- und Architekturunternehmens CSMM – architecture matters. Nach seinem Studium der Architektur an der TU München wirkte er bei Prof. Herzog + Partner und der congena GmbH, bevor er 2003 conceptsued° und später Modal M, die inzwischen gemeinsam als CSMM GmbH auftreten, gründete. Zu den Kunden von CSMM gehören unter anderem Brainlab, Salesforce, Marsh & MacLennan Companies, Sony Music, Bosch SAST, DLA Piper, Reply.
Interview: Beatrix Ta
Dieser Beitrag ist ein Original-Post aus dem news aktuell Blog:
https://treibstoff.newsaktuell.de/bueroarchitektur-der-zukunft/
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