3sat-Dokfilm "Otzenrather Sprung" erhält Adolf-Grimme-Preis 2002
Mainz (ots)
Der 3sat-Dokumentarfilm "Otzenrather Sprung" (Sendedatum: 3sat, 18.11.2001; Redaktion: Margrit Schreiber) erhält im Wettbewerbskontingent "Information & Kultur" des 38. Adolf-Grimme-Preises für Buch und Regie von Jens Schanze sowie für die Kameraarbeit von Börres Weiffenbach eine Auszeichnung. Dies gab das Grimme-Institut in Marl heute bekannt. In "Information und Kultur" waren insgesamt 24 Fernsehproduktionen nominiert.
Der 63-minütige Film "Otzenrather Sprung" beschreibt in ausgesuchten Schwarzweißbildern die Landschaft und die Menschen, die dem Braunkohleprojekt Garzweiler II weichen müssen. Jens Schanze begleitet die Einwohner dreier Dörfer während ihres letzten Jahres in der alten Heimat und dokumentiert, wie eine ganze Region auf die kollektive Umsiedlung vorbereitet wird. Das von der nordrhein-westfälischen Landesregierung 1998 beschlossene Großprojekt sieht vor, bis zum Jahr 2050 auf einem Areal von rund 50 Quadratkilometern die Erdoberfläche bis zu 210 Meter tief abzutragen. 13 Ortschaften mit rund 7.600 Einwohnern müssen weichen, ebenso ein Naturschutzgebiet. Die im Mai 1999 begonnene Langzeitbeobachtung entstand als 3sat-Koproduktion mit der Hochschule für Fernsehen und Film, München, und ist Jens Schanzes erster langer Dokumentarfilm: "Man müsste etwa alle fünf Jahre einen Film drehen. Den Erfahrungen früheren Umsiedlern zufolge, ist ein solcher Eingriff in Familien nur über die Dauer von ein oder zwei Generationen zu verarbeiten", erläutert Jens Schanze sein Langzeitprojekt.
Mit den Nachnominierungen der beiden Fachkategorien (Nachnominierungen im Wettbewerbskontingent "Spezial" sind noch möglich) waren insgesamt 61 Fernsehproduktionen für den "38. Adolf Grimme Preis des Deutschen Volkshochschul-Verbandes" von zwei unabhängigen Auswahlkommissionen ("Fiktion & Unterhaltung/Spezial", "Information und Kultur/Spezial") für die Preisvergabe am Freitag, 22. März 2002, im großen Zelt des Circus Roncalli in Marl nominiert worden. 3sat zeigt die Preisverleihung ab 23.15 Uhr in seinem Programm. Das 3sat-Magazin "Kulturzeit" berichtet heute abend, ab 19.20 Uhr, sowie am Abend der Preisverleihung, ebenfalls ab 19.20 Uhr.
In den Kategorien "Fiktion und Unterhaltung" und "Information und Kultur" waren für 3sat außerdem ausgesucht: die 3sat-Koproduktion "Mein Stern" von Valeska Grisebach (Sendedatum: 3sat, 30.3.2001; Redaktion: Inge Classen) sowie "Revolution im Zoo" (WDR/3sat; Sendetermin: 3sat, 6.4.2001) von David Wittenberg. In "Spezial" sind in Zusammenhang mit 3sat nominiert: Valeska Grisebach für Buch und Regie von "Mein Stern", Romuald Karmakar für die Idee und Realisierung des Dokumentarfilms "Das Himmler-Projekt" (WDR/3sat; Sendetermin: 3sat, 4.11.2001), Volker Weicker für die Bildregie bei verschiedenen Sendungen, darunter Opern und Kleinkunst bei 3sat, Detlef Gumm und Hans-Georg Ullrich für ihre Dokumentarfilme im Rahmen der Langzeitbeobachtung "Berlin - Ecke Bundesplatz" (WDR/SFB/3sat; Sendetermine: 3sat, Oktober 1999 und Dezember 2001). Über die Preisträger in der Kategorie "Spezial" entscheiden die Jurys bis Freitag, 15. März. Die Namen der Preisträger werden erst bei der Verleihung veröffentlicht.
Der Grimme-Preis wird jährlich vergeben für Fernsehleistungen und Produktionen, die "die spezifischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehen auf hervorragende Weise nutzen und nach Inhalt und Methode Vorbild für die Fernsehpraxis sein können".
Jens Schanze: "Ich möchte mich selbst und andere ermutigen, unbefriedigende Lebensumstände zu verändern - für sich selbst und für die Gesellschaft!"
Ein Interview mit dem ausgezeichneten Nachwuchstalent
Herr Schanze, ausgerechnet mit ihrem ersten langen Dokumentarfilm, "Otzenrather Sprung", wagen Sie sich an ein sehr brisantes Thema, das Menschen und Politik in Nordrhein-Westfalen spaltet, lange Zeit die Bildung einer Landesregierung erschwerte und schließlich beinahe die rot-grüne Koalition des Landes zum Platzen gebracht hätte: Verstehen Sie als 30-Jähriger, der eben in den Beruf startet, Ihr filmisches Schaffen als Medium für politisches Engagement?
"Indirekt auf jeden Fall. Politik hat ja eigentlich zum Ziel, das Miteinander von vielen verschiedenen Menschen so zu organisieren, dass alle letztlich ein glückliches Leben in absoluter Freiheit führen können. Wenn ich Menschen begegne und mich nach ihrer Lebenssituation und nach ihrem Lebensgefühl erkundige, dann hat das automatisch eine politische Dimension. Die Antwort ist immer auch eine Aussage darüber, ob eine Gesellschaft die Kunst der Staatsverwaltung' erfolgreich, das heißt zum Wohl des einzelnen Menschen, praktiziert."
Im Falle Garzweiler II kann es fast nur zwei Haltungen gebe: Befürworter und Gegner. Wenn Sie beiden Seiten in ihrem Film Raum geben, polarisiert das doch, es verschärft möglicherweise den Konflikt. Geraten Sie da nicht zusätzlich in Gefahr, für die eine oder die andere Seite Position zu beziehen, gar aufzuwiegeln?
"Position zu beziehen, halte ich nicht für eine Gefahr. Im Gegenteil, ich finde es sogar notwendig, dass die Haltung des Autors erkennbar wird. Die Frage ist ja lediglich, ob man die Person, die eine andere Ansicht vertritt, respektiert und ihr eine gleichwertige Möglichkeit gibt, ihre Position im Film zu vertreten. Das geht nur, wenn man sich bemüht, kein Urteil zu fällen. Otzenrather Sprung' würde sicherlich als Film nicht funktionieren, wenn die Vertreter der Rheinbraun AG nicht vorkommen würden, oder wir ihnen mit der Einstellung begegnet wären Euch glauben wir sowieso kein Wort'."
Das Projekt Garzweiler II soll erst in rund 50 Jahren abgeschlossen sein. Wie lange werden Sie Ihr Projekt "Otzenrather Sprung" verfolgen?
"Um die Auswirkungen der Umsiedlung auch nur ansatzweise dokumentieren zu können, müsste man anfangs etwa alle fünf Jahre einen Film drehen, später vielleicht mit größerem Abstand. Den Erfahrungen von Umsiedlern zufolge, die bereits in den sechziger oder siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts umgesiedelt wurden, ist ein derartiger Eingriff in die Geschichte von Familien nur über die Dauer von mindestens ein oder zwei Generationen zu verarbeiten."
Wann würden Sie als junger Filmer Ihre Arbeit als erfolgreich bezeichnen, was möchten Sie in 50 Jahren über Ihre Tätigkeit sagen können?
"Eigentlich soll meine Arbeit eine Ermutigung und eine Aufforderung sein - für mich selbst und für andere. Eine Ermutigung, sich nicht abzufinden mit Zuständen oder Lebensumständen, unter denen man leidet. Eine Aufforderung, das Bewusstsein zu entwickeln, dass das Glück des einzelnen und das Glück der Gesellschaft nicht zwei verschiedene Dinge sind und dass jeder Mensch für die Realisierung dieses Glücks selbst die Verantwortung trägt."
Jens Schanze, geboren am 4. März 1971 in Bonn, studierte zunächst an der Ludwig-Maximilian-Universität, München, Forstwissenschaften, bevor er Regieassistent und Aufnahmeleiter beim Bayerischen Rundfunk wurde. Mit den Erfahrungen eines einjährigen Aufenthaltes in Bolivien produzierte er den Dokumentarfilm "San José - ein Dorf Regenwald". Jens Schanze studiert an der Hochschule für Fernsehen und Film in München "Dokumentarfilm" und "Fernsehpublizistik". "Otzenrather Sprung" ist sein erster langer Dokumentarfilm.
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