Landeszeitung Lüneburg: ,,China lässt sich nicht unter Druck setzen" -- Interview mit Prof. Thomas Heberer, China-Berater der EU-Kommission
Lüneburg (ots)
Tibet-Aktivisten hängen Plakate an Laternen; Athleten erwägen Proteste mit Armbändern; China zelebriert unbeirrt im Zeichen der Ringe seine Rückkehr als Weltmacht: Zum Auftakt der Spiele hat Zwist den olympischen Frieden verdrängt. Prof. Thomas Heberer, China-Berater der EU-Kommission, rügt die negative Sichtweise des Westens: "So wird der Wandel eines totalitären Staates zu einem, der seinen Bürgern Rechte gewährt, und ein international verlässlicher Partner ist, unterschlagen."
Die Olympischen Spiele 1988 in Seoul brachten Südkorea eine Demokratisierung. Berlin 1936 war dagegen eine Propagandabühne der Nazis. Welche Spiele erleben wir ab heute? Prof. Thomas Heberer: Beides trifft auf die Pekinger Spiele nicht zu. Als die Spiele 1931 vergeben wurden, war der Nationalsozialismus noch nicht absehbar. Der NS-Staat, der sich relativ rasch zu einem totalitären System entwickelte, konnte die Spiele nutzen, um sich in ein besseres Licht zu rücken. Die Spiele in Seoul hatten einen völlig anderen Charakter. In Südkorea gab es -- acht Jahre nach dem Gwanju-Massaker an Angehörigen der Demokratie-Bewegung -- Massenproteste und eine starke Zivilgesellschaft, die -- gegen die Militärdiktatur gerichtet -- sich für eine Demokratisierung einsetzte. Dazu übten die USA Druck auf die Militärregierung aus. Die Situation in China ist völlig anders. Der totalitäre Staat unter Mao wandelte sich zu einem zwar noch autoritären Staat, in dem Menschen aber nicht mehr rechtlos sind und in dem ein Pluralisierungsprozess läuft. Die stalinistische Planwirtschaft wurde in eine staatlich kontrollierte Marktwirtschaft umgewandelt. Und im völligen Gegensatz zu Hitler-Deutschland, das einen Krieg vorbereitete, beteiligt sich China konstruktiv an der Welt-Innenpolitik. Weil im Gegensatz zu Südkorea die Voraussetzungen fehlen, werden die Spiele in Peking aber auch keinen Demokratisierungsprozess anschieben.
Außenpolitisch zeigte sich China im Vorfeld moderater, im Inneren zog es die Zügel an. Wie stehen die Chinesen zu den Olympischen Spielen? Prof. Heberer: Die Zügel wurden nicht generell angezogen. Aber die Proteste während des Fackellaufs gegen die Tibetpolitik haben Peking ebenso geschockt wie der Anschlag in Xinjiang und die Interpol-Warnung vor islamistischem Terror. Die Angst vor Destabilisierung wuchs. Die Folge ist das, was amnesty unter Einschränkung der Menschenrechte verbuchte. Verlaufen die Spiele friedlich, werden sich die moderateren Kräfte wieder durchsetzen. Die Mehrheit der Chinesen ist stolz auf die Spiele und erhofft sich Platz eins in der Medaillenbilanz. Eine Minderheit ist indifferent bis ablehnend, die Erdbebenopfer in Sichuan etwa oder Menschen, die für Stadien- oder Hotelneubauten aus ihren Häusern vertrieben wurden.
Schlägt der Stolz des Normalbürgers in fremdenfeindlichen Nationalismus um, wenn ein chinesischer Athlet als Dopingsünder angeprangert wird? Prof. Heberer: Das glaube ich nicht. Ich gehe ohnehin davon aus, dass nur wenig Chinesen erwischt werden, weil die Zentrale aus Angst vor Gesichtsverlust im Vorfeld einige -- offenbar nicht saubere -- Goldhoffnungen aus den Provinzen zurückgezogen hat. Athen wird sich wohl nicht wiederholen, wo zwei prominente griechische Sportler überführt worden sind.
Ganze Stadtviertel wurden umgesiedelt, Wanderarbeiter vertrieben. Entzündet das olympische Feuer die soziale Lunte? Prof. Heberer: Nein, weil solche Maßnahmen fast nur in Peking durchgeführt wurden. Generell muss man sagen, dass die westliche Idee der Spiele, die sehr viel mit Individualrechten zu tun hat, in China überhaupt nicht verstanden wird. Zumal das Individuum traditionell in China keine große Rolle spielt und immer dem Staat und der Nation untergeordnet war. In China sieht man die Spiele als Gelegenheit, bei der sich der Staat präsentieren kann.
China möchte wahrgenommen werden als ein Staat, der konstruktiv Probleme löst. Ist dieses Ziel wegen Tibet und Xinjiang unerreichbar? Prof. Heberer: Das Problem ist die Wahrnehmung Chinas im Westen selbst. Solange der Aufstieg Chinas als Bedrohung gesehen wird, wird sich keine realistischere, differenzierte Sichtweise durchsetzen. Die Proteste im Westen gegen die Tibet-Politik haben einen Schulterschluss bewirkt zwischen Chinesen, die im Ausland leben und studieren einerseits und der Bevölkerung im Inland andererseits mit der Partei- und Staatsführung. Die Legitimität der Führung wurde durch diese Proteste -- und zusätzlich durch die relativ effiziente Bewältigung des Erdbebens -- noch gestärkt. Sie musste sogar nationalistische Kräfte in die Schranken weisen, die eine harte Reaktion gefordert hatten.
Wird die Mystifizierung Tibets im Westen von China belächelt? Prof. Heberer: Ich denke, die Chinesen verstehen die Tibet-Frage nicht besonders gut. Das eint sie mit den meisten Tibet-Wortführern im Westen. Die meisten Han-Chinesen sind sich einig, dass Tibet schon immer Bestandteil Chinas war. Sie wollen nicht akzeptieren, dass die Provinz trotz aller Investitionen immer noch ein Unruheherd ist. Die soziale und ethnische Dimension des Konflikts blenden sie aus, etwa die Zerstörung fast aller Klöster in der Kulturrevolution und die Benachteiligung von Tibetern auf dem Arbeitsmarkt. Das soziale, nicht-religiöse Konfliktpotenzial unter städtischen Jugendlichen wird ignoriert. Und das ist gefährlich, weil diese nicht so friedfertig sind wie etwa die Mönche.
Bisher reagierte der Westen skeptisch, wenn China die Gefahr islamistischen Terrors beschwor. Zu Unrecht -- nach dem Blutbad in Xinjiang? Prof. Heberer: Nach Darstellung des chinesischen Sicherheitsministeriums gibt es zwölf Organisationen, die eine Unabhängigkeit Xinjiangs anstreben. Darunter sind Pantürken, die einen großtürkischen Staat unter Einschluss Zentralasiens und eben Ost-Turkestans, wie Xinjiang früher hieß, fordern. Dazu gibt es gemäßigte islamische Kräfte sowie Islamisten, die einen Gottesstaat anstreben. Das sind Bewegungen, die zum Teil im 19. Jahrhundert wurzeln. Doch die meisten Uiguren wissen, dass sie angesichts der Mehrheit der Han-Chinesen in ihrem Siedlungsgebiet keine Chance auf einen eigenen Staat haben. Bewegungen, die einen solchen Staat herbeibomben wollen, werden nicht von der Mehrheit ihres Volkes getragen. Was sowohl Uiguren wie Tibeter mehrheitlich anstreben, ist eine wirkliche Autonomie mit einklagbaren Minderheitenrechten. Und obwohl Selbstverwaltung die Akzeptanz mit einem Verbleib im chinesischen Staatsverband drastisch erhöhen würde, ist die chinesische Führung dafür derzeit nicht zu gewinnen.
Beim Streit um Internetzensur prallte westliches Freiheitsverständnis auf Chinas Konzept einer kontrollierten Öffentlichkeit. Misslingt die Selbstzelebrierung als Comeback-Weltmacht? Prof. Heberer: Hier zeugt das Hin und Her von Erlassen und Verordnungen sowohl zur Nutzung des Internets als auch zur Freigabe des Tiannanmen-Platzes davon, dass es in der chinesischen Führung unterschiedliche Positionen gibt. Hier stehen sich z.B. die restriktive Staatssicherheit und das diplomatische Außenministerium gegenüber. Intellektuelle wissen schon lange, dass China mehr Öffentlichkeit braucht, die als Korrektiv funktionieren könnte. Das Internet hat seit zehn Jahren zum Teil diese Rolle ausgefüllt: Korruptionsfälle, Übergriffe auf Bürgerrechtler werden ebenso ins Netz gestellt wie die Auseinandersetzungen von Bauern mit Behörden.
Soll angesichts des olympischen Prunks die deutsche Entwicklungshilfe an Peking eingestellt werden, wie die CSU fordert? Prof. Heberer: Entwicklungshilfe zur Armutsbekämpfung ist nicht mehr notwendig. China verfügt über 1,8 Billionen Dollar Devisenreserven. Zusammenarbeit ist aber weiter nötig, um know-how zu vermitteln. Ohne Wissenstransfer etwa im Bereich des Umweltschutzes kann China seine verheerenden ökologischen Probleme nicht in den Griff bekommen. Dazu sollte Deutschland die Bildung einer Zivilgesellschaft in China fördern, etwa die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen. Über Entwicklungszusammenarbeit kann Deutschland Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Würde man etwa die Frage der Selbstverwaltung in den Rechtsstaatsdialog aufnehmen, bestünde die Option, Chinas Minderheitenkonflikte zu entschärfen. Es mangelt in China zugleich an zivilisatorischer Kompetenz. Staat und Gesellschaft müssen lernen, andere Meinungen zu akzeptieren und Konflikte friedlich zu lösen.
Selbst die KP sieht sich in der Tradition des Reiches der Mitte, des zivilisatorischen Zentrums der Welt. Ist der Westen gut beraten, Peking unter Druck zu setzen? Prof. Heberer: China lässt sich in Fragen, die seine Souveränität berühren, nicht unter Druck setzen. Das einzige, was der Westen anbieten kann, ist ein Diskurs über solche Fragen. An Beispielen gelöster Minderheitenkonflikte wie etwa Südtirol kann man Peking verdeutlichen, dass man mehr Sicherheit gewinnt durch die Vergabe von Rechten als durch deren Beschneidung.
Ist eine werteorientierte Außenpolitik gegenüber China klug, wie sie jüngst Bundeskanzlerin Merkel formulierte? Prof. Heberer: Dass man seine eigenen Werte vertritt, ist unbenommen. Die eigenen Werte aber zur Grundlage der eigenen Außenpolitik zu machen, wie es in einem Strategiepapier der Union vorgesehen ist, ist unklug. So wird gefordert, dass sich Deutschland mit den Demokratien in Asien -- Indien, Südkorea, Japan -- gegen das autoritäre Gegenmodell China zusammenschließt. Allerding sieht China sich nicht als autoritäres Gegenmodell, sondern als Zwischenstufe auf dem Weg zur Demokratie. Hier ist Geduld gefordert. Demokratie kann nicht verordnet werden, sondern entsteht in Jahrzehnten, wenn die Prozesse der Liberalisierung, der Pluralisierung und der Verrechtlichung weitergehen. Allerdings kann es -- etwa im Falle einer Wirtschaftskrise -- auch entgegengesetzt laufen.
Im Westen löst China verstärkt Skepsis bis hin zur Angst aus. Wird die Ausblendung der Erfolge den historischen Leistungen Chinas gerecht? Prof. Heberer: Nein, auf keinen Fall. Bei uns wird in erster Linie Negatives herausgestrichen: Die Verteuerung von Benzin, Stahl, Butter und Eiern -- alles seien Folgen des Aufstiegs Chinas. Dass Deutschland 400000 zusätzliche Jobs durch den Handel mit China gewonnen hat, wird übersehen. Sogar die Bush-Administration hat erkannt, dass man ohne China die grundlegenden Probleme der Welt nicht mehr lösen kann. Es kommt darauf an, China einzubinden, nicht auszugrenzen. Wer nur auf die noch verhandenen Probleme eines autoritären Staates blickt, in dem Menschen- und Bürgerrechte noch nicht garantiert sind, erhält ein einseitiges Bild, weil er die gewaltigen Fortschritte seit der Mao-Ära übersieht. Ich habe von 1977 bis 1981 in China gelebt. Damals unterschied sich China nicht wesentlich von Nordkorea. Es gab kaum etwas zu essen. Kontakt zu Chinesen war verboten. Die Menschen waren völlig rechtlos. Diese Zeiten sind vorbei, auch wenn es in ländlichen Gebieten noch Funktionärswillkür gibt. Aber in den Städten sind die Menschen selbstbewusster geworden. Sie arbeiten an der materiellen Verbesserung ihres Lebens und hoffen auf mehr Rechte in der Zukunft. An der Ostküste setzen sich die Menschen gegen staatliche Willkür bereits zur Wehr. Hier entwickelt sich ein Staatsbürgerbewusstsein, das China von Grund auf ändern wird. Aber was alle eint, ist die nationale Idee: Wir wollen ein starkes Land werden! Dieses Ziel schließt die Absage an einen Regimewechsel, der Unruhe und einen Stabilitätsverlust mit sich brächte, ein.
Das Interview führte Joachim Zießler
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