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Landeszeitung Lüneburg: Nahost-Experte Dr. Muriel Asseburg zum Krieg im Gaza-Streifen: "Hamas ist ein Teil der Lösung"

Lüneburg (ots)

Aufrufe zur Mäßigung verhallen im Gazastreifen
ungehört. Israel verschärft seine Offensive. Die Hamas sendet 
widersprüchliche Signale über ihre Verhandlungsbereitschaft aus. 
Welche Chancen gibt es für eine Befriedung des Konfliktes? Dr. Muriel
Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem größten Think
Tank in Europa: "Ohne eine politische Einbindung der Hamas läuft 
nichts."
Wird Israel im Gazastreifen gelingen, was im Libanon scheiterte: 
Kann der Feldzug die Hamas schwächen, nachdem die Hisbollah 2006 eher
noch an Renommee gewann?
Dr. Muriel Asseburg: Politisch wird die Hamas wohl nicht 
geschwächt aus dem Krieg hervorgehen. Aber es wird Israel gelingen, 
die Infrastruktur der Hamas zu schwächen -- das betrifft allerdings 
nicht nur die militärische, sondern auch die zivile Infrastruktur. 
Die Frage ist allerdings, ob das wirklich als Erfolg zu werten ist 
oder ob es nicht vielmehr eine Gefahr darstellt. Nämlich die Gefahr, 
dass mit den Angriffen auf die Infrastruktur auch die Ordnungs- und 
Regierungsfähigkeit im Gazastreifen zerstört wird -- wie dies auch 
schon zu Beginn der zweiten Intifada in den gesamten 
palästinensischen Gebieten der Fall war. Dies kann letztlich zu einer
Situation führen, in der es im Gazastreifen keine Führung mehr gibt, 
die einen Waffenstillstand aushandeln und auch durchsetzen kann.
Erschafft Israel mit seinen Schlägen auch gegen Zivilisten die 
nächste Generation Terroristen ?
Dr. Asseburg: Es liegt auf der Hand, dass die jetzige 
Militäraktion nicht 1,5 Millionen Israel-Freunde im Gazastreifen 
hinterlassen wird, sondern eine zutiefst traumatisierte, 
desillusionierte und zum Teil sicherlich auch radikalisierte 
Bevölkerung. Gruppierungen, die radikaler sind als die Hamas, werden 
erheblichen Zulauf bekommen. Mit diesen Gruppen wird man nicht 
verhandeln können, weil sie keine nationalen Interessen verfolgen. 
Das kann nicht in Israels Sinn sein.
Hamas ist nicht nur eine Terrororganisation, sondern auch eine 
soziale Bewegung -- für deren Zulauf Israel selbst sorgte. Wie kann 
dies gestoppt werden?
Dr. Asseburg: Vor allem ist die Hamas auch eine politische 
Organisation, die bei den letzten Parlamentswahlen haushoch gewonnen 
hat. Es wird kein Weg daran vorbeigehen, die Hamas als politische 
Kraft einzubinden. Die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas ist 
letztlich die Voraussetzung für Fortschritte -- in den 
Palästinensergebieten und bei einer Konfliktregelung mit Israel. Nur 
wenn es einen Ausgleich gibt, werden Neuwahlen stattfinden können. 
Nur so kann es wieder eine handlungsfähige Regierung geben. Nur so 
kann der palästinensische Präsident die Unterstützung für 
Verhandlungen haben. Nur so können Regelungen über die Öffnung der 
Grenzen des Gazastreifens gefunden werden. Und die sind notwendig, um
Handel und wirtschaftliche Entwicklung überhaupt zu ermöglichen. Auf 
Dauer kann ja nicht die internationale Gemeinschaft in den 
Palästinensergebieten Almosen verteilen, damit die Bevölkerung 
überlebt.
Muss auch der Westen mit der Hamas verhandeln, um nicht 
doppelzüngig zu wirken? Immerhin hat die Hamas Wahlen gewonnen...
Dr. Asseburg: Momentan geht es nicht primär darum, dass der Westen
offizielle Gespräche mit der Hamas führt. Es geht eher darum, dass er
klarmacht, eine innerpalästinensische Aussöhnung nicht länger zu 
blockieren -- wie noch nach dem Wahlsieg der Hamas. So sollte die EU 
vor allem gegenüber der Fatah und dem paläs"tinensischen Präsidenten 
ihre Bereitschaft signalisieren, mit einer Regierung der nationalen 
Einheit wieder zusammenzuarbeiten, wenn sie denn gebildet wird. Die 
Illusion, die Hamas würde sich in Luft auflösen, darf nicht genährt 
werden, etwa durch Gedankenspiele, nach der Gaza-Invasion eine 
Fatah-Herrschaft im Gazastreifen zu installieren.
Welche Ziele verfolgt die Hamas mit den Raketenangriffen auf 
Israel?
Dr. Asseburg: In erster Linie wollte die Hamas den Teil des 
Waffenstillstandsabkommens einfordern, der im Juni 2008 zugesagt, 
aber bisher nicht umgesetzt worden war. Also das Ende der nahezu 
vollständigen Blockade des Gazastreifens durch die Öffnung der 
Grenzübergänge nach Israel und Ägypten.
Demnach agiert die Hamas nicht als verlängerter Arm Teherans?
Dr. Asseburg: Sicherlich verfolgt der Iran auch eigene 
Inte"ressen, indem er Gruppierungen wie die Hamas unterstützt. Doch 
die Hamasführung kalkuliert sehr genau, welches ihre eigenen 
Interessen sind -- und die sind nicht deckungsgleich mit denen 
Teherans. Überschneidungen gibt es unter anderem bezüglich dessen, 
dass die Hamas sich im Gazastreifen weiter konsolidieren will und den
Preis für eine Aussöhnung mit der Fatah und einen Waffenstillstand 
mit Israel in die Höhe zu treiben, also hierbei ihre Hauptforderungen
durchzusetzen.
Wird Israel den Gazastreifen erneut besetzen müssen, um vor 
Raketenangriffen sicher zu sein?
Dr. Asseburg: Ich denke, daran hat Israel dauerhaft kein 
Interesse. Vielmehr will Israel die internationale Gemeinschaft dazu 
bewegen, Verantwortung für den Gazastreifen zu übernehmen, um sich 
selbst dieser entledigen zu können.
Keine Verantwortung wollen die arabischen Staaten übernehmen. 
Zeigt dies, wie isoliert die Hamas ist?
Dr. Asseburg: Einerseits ja, andererseits zeigt es auch, wie 
ängstlich die arabischen Regime darauf achten, dass weder Hamas noch 
Hisbollah in ihren Bevölkerungen Vorbildstatus gewinnen können. Denn 
dies könnte den islamistischen Oppositionsparteien in diesen Ländern 
zugute kommen. Zudem sind viele Regime in der Region über den 
wachsenden Einfluss des Iran besorgt.
Barack Obama hat angekündigt, sich unmittelbar nach seiner 
Amtsübernahme des Nahost-Konfliktes annehmen zu wollen. Bekommt 
dieser endlich auch in der US-Politik gebührenden Stellenwert 
eingeräumt?
Dr. Asseburg: Ich wäre sehr zurückhaltend, hier allzu große 
Hoffnungen zu wecken. Hält man sich die jüngsten Resolutionen sowohl 
im Senat als auch im Repräsentantenhaus vor Augen, die ganz eindeutig
zugunsten Israels Partei ergreifen und Hamas die alleinige 
Verantwortung für den Krieg zuschieben, wird deutlich, dass die neue 
Administration keine allzu großen Spielräume hat, einen völlig neuen 
Kurs einzuschlagen. Ich bezweifle zudem, dass die 
Obama-Administration das tun wird, was notwendig ist, um tatsächlich 
substantielle Fortschritte im Friedensprozess zu erzielen: nämlich 
alle Konfliktparteien zu versammeln, an die Hand zu nehmen und aktiv 
zu einem Verhandlungsergebnis zu führen. Dies ginge nur, wenn 
Washington eine Blaupause für den Endstatus vorlegen und konsequent 
Druck in Richtung Konfliktregelung ausüben würde.
Ein neuer Kurs soll auch gegenüber Iran eingeschlagen werden. 
Endet die Zeit, in der die Konflikte der Region isoliert betrachtet 
wurden?
Dr. Asseburg: Das steht zu hoffen. Allerdings befürchte ich, dass 
wir keine Fortschritte in Richtung Frieden sehen werden, solange 
Washington nicht die arabischen Staaten und Israel gleichermaßen zu 
einem Ausgleich drängt.
Bedarf Washington der Äquidistanz zu den Gegnern?
Dr. Asseburg: Nein, das ist nicht nötig, aber es müssen die 
legitimen Interessen aller Konfliktparteien einbezogen werden. 
Vorrangig geht es doch darum, die Prinzipien für eine 
Zwei-Staaten-Lösung, die alle bereits auf dem Tisch liegen und von 
den Konfliktparteien weitgehend verhandelt worden sind, in eine 
konkrete Regelung umzusetzen. Zum anderen bedarf es eines 
Politikwechsels in Bezug auf Hamas und Syrien. Ziel Washingtons darf 
es nicht länger sein, die Kluft zwischen Fatah und Hamas zu vertiefen
und Hamas und Syrien als Teil des Problems statt als Teil der Lösung 
zu behandeln.
Welche Chancen bestehen, Syrien in eine Nahost-Friedensarchitektur
einzubinden?
Dr. Asseburg: Die Chancen sind sehr gut, weil Damaskus großes 
Interesse hat, die bislang indirekten Gespräche mit Israel auf eine 
neue Ebene zu heben. Es wäre für Syrien ein großer Erfolg, nach 
Verhandlungen unter US-Vermittlung die Golanhöhen zurückzugewinnen. 
Durch einen solchen Friedensprozess könnte sich Syrien zudem aus der 
Isolierung durch den Westen befreien.
Die Frequenz der Waffengänge in der Region steigt. Droht ein 
großer Showdown zwischen Israel und Iran?
Dr. Asseburg: Ich sehe trotz der jüngsten Meldungen über einen 
unterbundenen Präventivschlag Israels gegen iranische Atomanlagen 
nicht, wie eine der beiden Seiten annehmen könnte, eine militärische 
Auseinandersetzung könnte die Kräfteverhältnisse wirklich dauerhaft 
klären. Die Gefahr allerdings besteht weiter, dass durch kleinere 
Auseinandersetzungen oder von den Regierungen nicht kontrollierte 
Gruppierungen eine Eskalation ausgelöst wurde -- wie es etwa beim 
Libanonkrieg 2006 der Fall war. Die Vielzahl ungelöster, offener 
Konflikte, das massive Waffenarsenal im Nahen Osten sowie Machthaber,
die Krieg als Mittel der Politik begreifen, lassen einem zögern, die 
Hand dafür ins Feuer zu legen, dass es keinen großen Krieg gibt.
Kennt der Nahe Osten keine Kriegsmüdigkeit?
Dr. Asseburg: In großen Teilen der Bevölkerung ist die 
Kriegsmüdigkeit sehr groß. Das erklärt zum Beispiel die Zurückhaltung
der Hisbollah in dem aktuellen Konflikt. Denn in der libanesischen 
Bevölkerung hätte sie derzeit keinen Rückhalt für einen Waffengang. 
Leider hat sich bei vielen Paläs"tinensern die Einsicht durchgesetzt,
dass es keine realistische Option für einen friedlichen Ausgleich mit
Israel gibt. Nach ihren Erfahrungen haben Verhandlungen sie ihren 
Zielen nicht nähergebracht. Und in Israel steht die Bevölkerung 
nahezu geschlossen hinter dem Waffengang.

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Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
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