Landeszeitung Lüneburg: ,,Demokratie muss jede Generation neu lernen" -- Interview mit dem Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundestages, Sebastian Edathy.
Lüneburg (ots)
Nachdem das Bundesinnenministerium die rechtsradikale Nachwuchsorganisation "Heimattreue Deutsche Jugend" verboten hat, versucht der Bundestag, die NPD finanziell trockenzulegen. Juristische Schritte gegen rechtsextreme Organisationen seien zwar notwendige und richtige Schritte, sagt Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses. Doch notwendig zur Stabilisierung der Demokratie sei eine verstärkte politische Bildung. "Schulen müssen auch Schulen der Demokratie werden. Bereits Kindergärten sollten den Jüngsten Toleranz und Gewaltverzicht beibringen."
Fällt das Verbot der "Heimattreuen Deutschen Jugend" unter die Rubrik Wahlkampfaktionismus? Sebastian Edathy: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Es hat schon vor drei Jahren aus dem Bundestag Hinweise an das Bundesinnenministerium gegeben, dass es sich bei der HDJ um eine äußerst problematische, weil demokratiefeindliche Organisation handelt. Der Innenausschuss hat im vergangenen Herbst fraktionsübergreifend eine Aufforderung an Herrn Dr. Schäuble gerichtet, ein Verbot der HDJ zu veranlassen. Dem ist der Minister nun nachgekommen. Einen Bezug zum Wahlkampf sehe ich nicht. Das war eine sachlich erforderliche Entscheidung.
Die HDJ war schon lange im Visier des Verfassungsschutzes. Wieso hat es dann so lange mit dem Verbot gedauert? Edathy: Das müssen Sie den Bundesinnenminister fragen. Ich hatte ihm schon vor Jahren mitgeteilt, dass ich es nicht für tolerierbar halte, was dort unter dem Deckmantel der Kinder- und Jugendarbeit an demokratie- und menschenfeindlichen Aktivitäten entfaltet wurde.
Zum Schulungspersonal der HDJ zählten viele NPD-Mitglieder. Muss Berlin ein NPD-Verbot folgen lassen? Edathy: Grundsätzlich ja. Die HDJ war organisatorisch und personell eng mit der NPD verbunden. Die NPD steht zudem im Bündnis mit der zum Teil gewaltbereiten Kameradschaftsszene. NPD-Führungskräfte halten Reden auf Kameradschaftstreffen, dafür fungieren die Kameradschaftler auf NPD-Veranstaltungen als Ordner. Die NPD ist eine eindeutig verfassungsfeindliche Partei, nach meinem Dafürhalten sogar eine verfassungswidrige Partei, womit sie die Voraussetzungen für ein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht erfüllt. Allerdings sehe ich für einen entsprechenden Vorstoß des Bundestages in dieser Wahlperiode zu meinem Bedauern keine politische Mehrheit.
Ist eine öffentliche Äch"tung, etwa durch ein Verbot, geeignet, um mögliche Sympathisanten abzuschrecken? Edathy: Zunächst mal stellt ein Verbot sicher, dass die Organisation nicht weiterbestehen kann, damit verbunden nicht mehr öffentlich werben kann, und eine Wiederbetätigung unter anderem Namen ist ebenfalls untersagt. Es geht hierbei nicht nur um das Setzen eines politischen Signals, sondern darüber hinaus um die Durchsetzung des Prinzips der wehrhaften Demokratie. Das heißt, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat sehr vieles dulden müssen, aber nicht alles dulden dürfen. Rassismus und die Ablehnung der Demokratie, wofür die HDJ stand und die NPD steht, dürfen nicht geduldet werden.
Gehört zur "wehrhaften Demokratie" auch, das Strafmaß bei rechtsradikalen Straftaten zu erhöhen? Edathy: Es gibt eine entsprechende Bundesratsinitiative, die ich für prinzipiell unterstützenswert halte. Demnach soll ein rechtsradikaler Hintergrund bei Straftaten von Gerichten strafverschärfend gewertet werden, weil das besondere Moment entsprechender Straftaten ist, dass Menschen zu Opfern werden, weil die Täter sie als Teil einer in ihren Augen minderwertigen Bevölkerungsgruppe betrachten. Dem wohnt ein besonderer Unrechtsgehalt inne, deshalb sind harte Strafen gerechtfertigt. Das Thema wird allerdings im Bundestag kontrovers diskutiert. Ich denke, es sollte klargestellt werden, dass rechtsextrem motivierte Gewalt einen besonders widerwärtigen Charakter hat.
In Ihrem Konzept einer sozialdemokratischen Innenpolitik im 21. Jahrhundert sollen Schulen als Schulen der Demokratie Extremismus verhindern. Lässt sich der Hang zu vereinfachenden, fremdenfeindlichen Weltbildern wegerziehen? Edathy: Ich glaube, dass Demokratie erlernt werden muss und zwar von jeder Generation aufs Neue. Es ist ein Fehler, zu glauben, dass Demokratie vererbt wird. Deshalb sollte schon im Kindergarten eingeübt werden, dass es nicht legitim ist, Konflikte gewaltsam zu lösen und dass das andere Kind so respektiert werden sollte, wie man selbst respektiert werden möchte. Derartige Werte sollten Kindern so früh wie möglich vermittelt werden. Ich bin überzeugt, das geht. Schließlich wird niemand als Rechtsextremist geboren. Ein Bodensatz fremdenfeindlichen Gedankengutes findet sich unter den unterschiedlichsten politischen Bedingungen. Braucht die Demokratie einfach nur gelassene Resistenz? Edathy: Man muss wissen, dass es immer einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung geben wird, der eine antidemokratische Gesinnung aufweist. Man muss allerdings darauf achten, dass diese Gruppe möglichst klein gehalten wird. Mein besonderes Anliegen ist hierbei, dass nicht Kinder und Jugendliche in eine Szene abrutschen, in der Menschenwürde keinen Wert hat. Als Demokraten haben wir gegenüber Heranwachsenden die Verantwortung, sie vor solchen Einflüssen zu schützen oder sie so fit zu machen, dass sie mit solchen Einflüssen umgehen können.
Umstritten ist in der Koalition nicht nur das Vorgehen gegen die NPD, sondern auch der Datenschutz. Die Union will den Gesetzesentwurf entschärfen. Zeigen die Spitzelaffären bei Lufthansa, Telekom und Bahn, dass es gerade Konzernen an Sensibilität fehlt? Edathy: Das geltende Datenschutzgesetz stammt aus den 70er-Jahren. Das war die Zeit der Lochkarten und nicht die Zeit von Hochleistungsrechnern. Insofern besteht in der Tat Anpassungsbedarf. Die Bundesregierung hat dem Parlament einen Gesetzentwurf zugeleitet, über den wir derzeit im Innenausschuss debattieren. Strittig ist derzeit, inwieweit Unternehmen mit Daten von Bürgern handeln dürfen, die diese freiwillig etwa im Rahmen von Kaufverträgen abgeben. Der Gesetzentwurf ist in der Hinsicht sehr restriktiv, was ich für richtig halte. Es wäre unglaubwürdig nach all den Diskussionen, die wir aufgrund der vielen Datenskandale geführt haben, wenn am Ende Wirtschaftsinteressen stärker wiegen als Bürgerinteressen. Man muss sicherlich eine Balance finden, maßgeblich sollte aber das Recht des Verbrauchers auf Souveränität über die Verwendung seiner persönlichen Daten sein.
Ist das Datenschutzgesetz ein zahnloser Tiger? Edathy: Das ist sicherlich nicht der Fall, aber das Gesetz bedarf der Überarbeitung. So sollten betriebliche Datenschutzbeauftragte gestärkt und ein allgemeines Arbeitnehmerdatenschutzgesetz entworfen werden. Entsprechend sollten Arbeitgeber verpflichtet werden, bei der Korruptionsbekämpfung verhältnismäßig und das heißt vor allem beschränkt auf konkrete Verdachtsfälle vorzugehen, wenn etwa Konto- oder Telefondaten abgeglichen werden. Diese Verhältnismäßigkeit ist von Konzernen wie Lidl und der Bahn AG mit Füßen getreten worden, da ist jedes Maß verloren gegangen. Hier haben wir es auf der einen Seite mit klaren Rechtsverstößen zu tun, auf der anderen Seite mit Regelungslücken. Rechtsverstöße müssen stärker geahndet werden, zum Beispiel durch eine Heraufsetzung des Bußgeldrahmens. Und die Regelungslücken müssen geschlossen werden, damit Arbeitnehmer nicht durch ihre Arbeitgeber ausgespäht werden.
Stehen die Datenschützer auf verlorenem Posten angesichts einer Generation, die Mengen intimster Daten freiwillig ins Internet stellt? Edathy: Es gibt natürlich auch eine Mitverantwortung jedes Einzelnen, was er freiwillig von sich preisgibt. Da würde ich mir gerade von Jugendlichen mehr Zurückhaltung wünschen. Dennoch muss gelten, dass derjenige nicht bestraft wird, der selbst durchaus auf die sparsame Verwendung seiner Daten Wert legt. Wer gewillt ist, für jedes Preisausschreiben sein Kaufverhalten offenzulegen, wird auch durch noch so intensive Aufklärung nicht davon abzubringen sein. Aber derjenige, der dies nicht wünscht, darf deswegen nicht in einen Nachteil geraten.
Selbstinszenierung prägt nicht nur Auftritte im Internet, sondern ist auch eine Haupttriebfeder von Amokläufern. Muss eher die Berichterstattung als der Verkauf von Ego-Shootern geregelt werden? Edathy: Tatsächlich haben die Medien eine besondere Verantwortung, bei der Berichterstattung umsichtig vorzugehen. Ich war erschrocken über einen SPIEGEL-Titel mit dem Porträt des Amokläufers von Winnenden oder den Internet-Auftritt der BILD, wo man einen virtuellen Rundgang auf den Spuren des Täters durch Schule und Fußgängerzone machen konnte. Derartig voyeuristische Berichterstattung brauchen wir nicht. Ebenso wenig eine, die potenziellen Nachahmern den Eindruck vermittelt, sie könnten posthum zu einer Art Medienstar werden.
Nach dem jüngsten Amoklauf haben Sie eine Verschärfung des Waffenrechtes abgelehnt. Was ist an Waffenbesitz so schützenswert? Edathy: Ich glaube fest an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Winnenden ist nicht möglich geworden durch eine Gesetzeslücke, sondern durch einen Gesetzesverstoß. Nämlich den des Vaters, der seine Waffe nicht unzugänglich aufbewahrt hatte. Nur bei drei Prozent der Straftaten, die mit Waffen begangen werden, werden legale Waffen benutzt. Ein Problem haben wir bei den geschätzt 20 Millionen illegalen Waffen in Deutschland, nicht bei den Schützen und Jägern, die derzeit einem Generalverdacht ausgesetzt werden, der ungerechtfertigt ist. Man kann über verstärkte Kontrollen der Länder nachdenken und über aussagekräftigere Nachweise vorhandener Stahlschränke für die Waffen. Aber viele andere derzeit diskutierte Vorschläge sind wenig durchdacht.
Das Interview führte Joachim Zießler
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