Landeszeitung Lüneburg: Urlaub in Spanien ,,eine Demonstration gegen den ETA-Terror": Interview mit dem Kieler Terror-Experten Prof. Dr. Joachim Krause
Lüneburg (ots)
Nach den Erfolgen der Fahnder galt die baskische Untergrundorganisation ETA schon fast als besiegt. Sollte es noch Anschläge geben, wären diese womöglich die ,,letzten Zuckungen der ETA", hieß es vor sechs Wochen. Doch vor allem mit den Bombenanschlägen auf der Urlauberinsel Mallorca demonstriert die ETA Stärke. Der Kieler Terrorismus-Experte Prof. Dr. Joachim Krause betont aber im Gespräch mit unserer Zeitung: ,,Die Aktivisten haben keine realistische Perspektive mehr." Wer jetzt auf einen Urlaub in Spanien verzichte, täte der ETA nur einen Gefallen. Ein Urlaub in Spanien sei daher ,,auch eine Demonstration gegen den Terror."
Urlauber sollten ihre Ferien auf Mallorca genießen, als wäre nichts geschehen, riet die spanische Zeitung ,,La Vanguardia". Ist das die beste Antwort, die man der ETA nach den Bombenanschlägen geben kann?
Prof. Dr. Joachim Krause: Im Prinzip ist das richtig. Die ETA will, dass man über sie spricht, dass man sie wahrnimmt und als politische Kraft ernst nimmt. Sie versucht das durch terroristische Aktionen zu erreichen, und diesen Gefallen sollten wir ihr nicht tun. Deswegen ist ein Urlaub in Spanien auch eine Demonstration gegen den Terror.
König Juan Carlos sagte, ,,dieser Bande von Mördern und Verbrechern" würde es nicht gelingen, das demokratische Leben in Spanien oder die Normalität auf der Insel zu beeinträchtigen. Ist der König zu optimistisch?
Krause: Nein, er hat völlig recht. Spanien ist zu einer reifen Demokratie geworden, trotz des Terrors der ETA. Ich gehe auch nicht davon aus, dass die Demokratie in Spanien wegen des Terrors der ETA zerbricht. Sie hat sich anpassungsfähig gezeigt -- und mit der Einführung der sehr weitgehenden Autonomieregelung für die drei baskischen Provinzen erhebliches Entgegenkommen gezeigt. Auf lange Sicht wird sich dieser Ansatz durchsetzen, die Aktivisten der ETA haben keine realistische Perspektive.
Tourismus-Staatssekretär Joan Mesquida glaubt, dass die Auswirkungen der Anschläge sehr begrenzt sein werden, da die ETA schon seit 30 Jahren vergeblich versucht, Spaniens Tourismusbranche zu schaden. Könnte die ETA angesichts dieses Optimismus ihre Strategie ändern und den Tod von Touristen bewusst in Kauf nehmen?
Krause: Ich sehe nicht, dass die ETA den gleichen Weg gehen wird wie Al-Qaida oder andere islamistische Organisationen. Dafür ist die ETA zu weltlich, sie hat keine derart nihilistische Ideologie. Und sie ist vor allem darauf aus, im Baskenland politische Unterstützung zu gewinnen bzw. diese nicht zu verlieren. Sie würde sich völlig isolieren, sollte sie unterschiedslos Tou"risten töten.
Vor 50 Jahren, als die ETA auch noch gegen die Franco-Diktatur kämpfte, hatte sie viele Sympathien. Heute würden einige Restaurantbesitzer auf Mallorca die Täter am liebsten lynchen, heißt es. Hat die ETA ihren letzten Kredit in der Bevölkerung verspielt?
Krause: In der spanischen Bevölkerung hat die ETA nie besonders viel Kredit gehabt, außerhalb des Baskenlandes gibt es wohl kaum jemand, der der ETA Sympathien entgegenbringt. Im Gegenteil, die ETA ist verhasst, und das aus gutem Grund. Lediglich im Baskenland gibt es eine nicht unwesentliche generelle Sympathie für die Ziele der ETA oder der ihr nahe stehenden Partei Batasuna. Die Gesamtzahl der Sympathisanten dürfte zwischen 80000 und 120000 Menschen liegen. Das bedeutet allerdings auch nicht, dass alle diese Menschen Gewaltakte der ETA billigen, Aber sie stehen zumindest dem Ziel eines sozialistischen Baskenlandes nahe. Bei einer Bevölkerung von 2,1 Millionen Menschen im Baskenland ist das allerdings eine klare Minderheit.
Wählte die ETA Ziele in Palma de Mallorca nur wegen des Tourismus aus oder auch, weil Palma als bestgesicherte Stadt ganz Spaniens gilt?
Krause: Diese Frage kann man als Außenstehender nicht beantworten. Ich vermute, dass die ETA Palma de Mallorca ausgesucht hat, weil ihre Aktivisten wissen, dass es dort bei Anschlägen immer ein großes medienmäßiges Echo geben wird. Der erste Anschlag gegen die Angehörigen der Guardia Civil sollte vermutlich demons"trieren, dass es die ETA noch gibt und dass sie nicht in der Versenkung verschwunden ist. Die zweite Anschlagswelle sollte wohl demonstrieren, dass die ETA auch trotz hohem Fahndungsdruck in der Lage ist, Anschläge auszuführen. Die Polizei und die Guardia Civil sollten wohl damit vorgeführt werden. Doch was waren das für jämmerliche Anschläge: kleine Mengen von Sprengstoff, die vermutlich schon Tage vorher deponiert waren und die mit Zeitzündern versehen wurden. Letztlich hat die ETA bewiesen, dass sie Abfallkörbe und Toilettenschüsseln demolieren kann.
Hat Sie die sorgfältige Planung der Anschlagserie auf Mallorca überrascht?
Krause: Sorgfältig geplant war nur die Medienwirkung. Ansonsten sind die Anschläge relativ primitiv angelegt gewesen und lassen erkennen, dass die ETA zu komplexen Operationen nicht in der Lage ist.
Gehen Sie davon aus, dass die ETA eine Terrorzelle auf Mallorca unterhält ?
Krause: Auf diese Frage kann ich auch nur Vermutungen äußern. Mich würde es nicht wundern, wenn diese "Zelle" aus zwei oder drei Personen besteht, die sich im großen Tourismusstrom für einige Tage auf Mallorca eingeschlichen und die sich inzwischen auch schon wieder abgesetzt haben. Es schießen aber zu dieser Frage jede Menge Spekulationen ins Kraut bis hin zu Behauptungen, es gäbe auch katalanische Separatisten, die mit der ETA zusammenarbeiten. Warten wir lieber ab, was die Ergebnisse der spanischen Fahnder bringen werden. In der Vergangenheit haben sie es fast immer geschafft, derartige Fälle aufzuklären. Ich bin da ganz zuversichtlich, dass wir in einigen Tagen oder Wochen mehr Klarheit haben werden.
In den vergangenen zwölf Monaten wurden vier ETA-Militärchefs gefasst, die Terrororganisation schien fast besiegt zu sein. Gibt es Erkenntnisse da"rüber, wie groß der harte Kern der ETA überhaupt noch ist?
Krause: Mittlerweile sitzen über 700 ETA-Aktivisten hinter Gittern, es wird von Experten in Spanien geschätzt, dass der harte, gewaltbereite Kern der ETA noch mehrere Hundert Männer und Frauen umfasst. Daneben gibt es aber ein sehr viel breiteres Feld von Sympathisanten, aus dem sich immer noch Nachwuchs generiert.
Gibt es Erkenntnisse darüber, wie die ETA Nachwuchs rekrutiert?
Krause: In der baskischen Gesellschaft gibt es Milieus, innerhalb derer der Kampf gegen Spanien und für eine wirre Form von Sozialismus noch immer viele junge Menschen anzieht. Etwa 15 Prozent der sich als Basken verstehenden Jugendlichen finden die Gewalt der ETA heute gut. Das ist relativ gesehen sehr viel und zeigt, dass es im Baskenland ein tiefer sitzendes gesellschaftlich-politisches Problem gibt. Es gibt Schichten der Bevölkerung, die glauben, mit extremer Gewalt und Terror politische Ziele durchsetzen zu können, die ansonsten politisch nicht mehrheitsfähig sind. In Westeuropa gibt es so etwas praktisch nicht mehr mit Ausnahme der Autonomen Linken oder der extremen Rechten. Diese beiden stellen aber zahlenmäßig eine verschwindende Minderheit dar. Einige Zahlen mögen das verdeutlichen: In der Bundesrepublik Deutschland mit ihren 82 Millionen Einwohnern gibt es eine Sympathisantenszene für linke Extremisten in der Größenordnung von 30000 Menschen, ähnlich groß ist die rechte Sympathisantenszene. Im Baskenland mit seinen 2,1 Millionen Einwohnern ist die Sympathisantenszene der ETA etwa 100000 Menschen groß.
Ist die ETA ähnlich zersplittert wie die IRA?
Krause: Es hat in der Vergangenheit immer wieder Indikatoren dafür gegeben, dass sich innerhalb der ETA unterschiedliche Meinungen bilden und dass es interne Auseinandersetzungen gibt. Zuletzt konnte man das gut im Jahre 2006 beobachten, als die ETA einen Waffenstillstand erklärte und sich auf Verhandlungen mit der spanischen Regierung einließ, während eine Fraktion der ETA weiter Bomben legte.
Kann Spaniens Polizei den Kampf gegen die ETA überhaupt gewinnen oder trifft die Aussage vieler Experten, dass sich Terrororganisationen wie etwa El Kaida militärisch nicht bezwingen lassen, auch auf die ETA zu?
Krause: Das Problem der ETA lässt sich natürlich mit polizeilichen Mitteln alleine nicht lösen und noch weniger mit Militäreinsatz. Aber ohne den beherzten Einsatz von Polizei und Justiz ist das Gewaltmonopol des Staates auch nicht zu verteidigen. Angesichts des noch bestehenden relativ hohen Sympathiekapitals für die Gewalt und Radikalität der ETA in Teilen der baskischen Gesellschaft muss aber auch ein politischer Prozess einsetzen, der auch dem letzten verstockten Basken zeigt, dass diese Form der politischen Willenskundgebung im 21. Jahrhundert in einer entwickelten Zivilgesellschaft keine Perspektive mehr hat. Dieser Prozess braucht aber lange Zeit.
Erwarten Sie, dass Spaniens Regierung hart bleibt und weiterhin nicht mehr mit der ETA verhandelt?
Krause: Davon gehe ich aus, nachdem die bisherigen Versuche gescheitert waren. Die Regierung Zapatero hatte 2006 einen Anlauf unternommen, um in einen Dialog mit der ETA und der Herri Batasuna einzutreten. Dieser Anlauf ist gescheitert, und die Regierung setzt jetzt darauf, die ETA zu isolieren. Die Verhandlungen mussten scheitern, weil zum einen die baskischen Extremisten Vorstellungen hatten, die völlig unrealistisch waren, und weil zum zweiten die ETA ebenso wie die Partei Batsuna kein verlässlicher Verhandlungspartner ist. Die Kompromisse, die heute gelten, werden schon morgen von radikalen Wortführern in Frage gestellt.
Die ETA ist politisch weitgehend isoliert. Nach dem Verbot der Baskenpartei Batasuna sitzen auch im Regionalparlament keine Sympathisanten mehr. Hätte die Regierung -- den Beispielen auf Korsika und in Nordirland folgend -- gesprächsbereiten Basken nicht Verhandlungsangebote machen sollen, um die ETA endgültig zu isolieren?
Krause: Die ETA ist nicht so isoliert, wie wir uns das hier wünschen. Sie repräsentiert mit ihren Vorstellungen die Meinungen von etwa 10 Prozent der Basken, und sie terrorisiert im Übrigen auch die anderen Basken. Die Mehrheit der Basken ist gesprächsbereit und kooperativ. Mit diesen Basken wurde die Autonomieregelung ausgehandelt und auch erfolgreich umgesetzt, die vorbildlich für ganz Europa ist. Das Problem sind die verstockten und radikalisierten Basken. Unter ihnen lassen sich auch Leute finden, mit denen man verhandeln kann, aber der Erfolg solcher Verhandlungen ist mehr als ungewiss. Die Erfahrungen der spanischen Regierung haben gezeigt, dass die ETA in dieser Hinsicht nicht anders ist als die meisten anderen politischen Bewegungen, die Gewalt und Terror als Mittel nutzen, um ihre politischen Vorstellungen durchzusetzen. Ob das nun PLO, Hamas, Hisbollah, Tamil Tiger, Farc, PKK, Taliban oder ETA sind: immer wieder findet man Partner, die willig sind zum Verhandeln, gleichzeitig finden sich immer wieder radikale Störer, die mit einfachsten Mitteln jeden Verständigungsprozess unterbrechen können und dabei meistens erfolgreich sind. Von daher halte ich die Vorstellung für naiv, wonach man sich nur mit gesprächsbereiten Basken der ETA und der Herri Batasuna zusammensetzen müsste, um dann alle Probleme lösen zu können.
Das Interview führte Werner Kolbe
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