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Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: ,,Ohne Akzeptanz kein Atommüll-Endlager" -- Interview mit dem Schweizer Experten Dr. Hans Wanner vom ENSI

Lüneburg (ots)

Energiepolitik ist eines der wichtigsten
Wahlkampfthemen. Berichte über angeblich geschönte Gutachten zum 
Endlagerstandort Gorleben in den 1980er-Jahren durch die Regierung 
Kohl haben den Streit um die Atomenergie angeheizt. Andere Länder 
suchen ebenfalls nach Endlagern für hochradioaktiven Atommüll. ,,Ein 
Tiefenlager lässt sich nur realisieren, wenn es genügend Akzeptanz 
findet", sagt Dr. Hans Wanner, Leiter der Abteilung Entsorgung des 
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats, ENSI, im Gespräch mit
unserer Zeitung. In der Schweiz sei die Bürgerbeteiligung ein 
unverzichtbares Element.
Herr Dr. Wanner, seit 2005 hat die Schweiz ein neues 
Kernenergiegesetz. Was sind die Schwerpunkte dieses Gesetzes und wo 
sehen Sie die wesentlichen Unterschiede zum deutschen Atomgesetz?
Dr. Hans Wanner: Das neue Kernenergiegesetz stützt sich auf 
neueste internationale Standards, im Bereich der Entsorgung auf die 
der Joint Convention, die von der Schweiz im Jahr 2000 ratifiziert 
wurde. Schwerpunkte in Bezug auf die Entsorgung sind das 
Verursacherprinzip, die Pflicht zur Entsorgung in geologischen 
Tiefenlagern im Inland und die Möglichkeit der Langzeitüberwachung 
und der Rückholung der Abfälle. Die Standortsuche ist neu Sache des 
Bundes. Zum deutschen Atomgesetz kann ich mich nicht äußern, da ich 
die darin enthaltenen Bestimmungen nicht präsent habe.
Wie sieht die Beteiligung der Bevölkerung aus?
Wanner: Ein Tiefenlager lässt sich nur realisieren, wenn es 
genügend Akzeptanz findet. Die Beteiligung der betroffenen Kantone 
und Regionen ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil in allen drei 
Etappen des Auswahlverfahrens. In der ers"ten Etappe bildet der Bund 
frühzeitig einen Ausschuss der Kantone. Dieser besteht aus den 
betroffenen Kantonen und Nachbarstaaten. In der zweiten und dritten 
Etappe führen die Gemeinden der Standortregionen die regionale 
Partizipation durch, in welcher Anwohner mitarbeiten können. Die 
Standortregionen können grenzüberschreitend sein. Interessierte 
Bürger können zudem in allen drei Etappen in den öffentlichen 
Anhörungsverfahren Stellungnahmen abgeben. Am Schluss besteht die 
Möglichkeit, auf nationaler Ebene das Referendum gegen den 
Rahmenbewilligungsentscheid des Parlamentes zu ergreifen.
Wie weit fortgeschritten ist die Suche nach Endlager-Standorten?
Wanner: Wir befinden uns in der ersten von drei Etappen auf dem 
Weg zur Standortwahl. Die Nagra (Nationale Genossenschaft für die 
Lagerung radioaktiver Abfälle) hat aufgrund sicherheitstechnischer 
Kriterien 3 aus ihrer Sicht mögliche Standortregionen für ein 
Tiefenlager für hochaktive Abfälle und 6 Standortregionen für ein 
Tiefenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle vorgeschlagen. 
Diese Vorschläge werden jetzt von der zuständigen Sicherheitsbehörde,
dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI), im Detail 
überprüft. Weitere Expertengruppen und Kommissionen werden sich 
ebenfalls zu den Vorschlägen äussern. Im Zentrum von Etappe 2 liegt 
die Partizipation: Die Standortregionen haben die Möglichkeit, bei 
der Konkretisierung der Lagerprojekte sowie den Untersuchungen der 
sozioökonomischen und raumplanerischen Auswirkungen mitzuarbeiten. 
Zudem werden die Standorte sicherheitstechnisch verglichen, bevor die
Nagra pro Abfallkategorie mindestens zwei Standorte vorschlagen kann.
In Etappe 3 werden die verbleibenden Standorte vertieft untersucht. 
Um einen gleichwertigen sicherheitstechnischen Kenntnisstand zu 
erhalten, sind aus heutiger Sicht erdwissenschaftliche 
Untersuchungen, inklusive Sondierbohrungen, notwendig. Vor der 
Einreichung von Rahmenbewilligungsgesuchen müssen zudem die 
Grundlagen für Kompensationsmassnahmen und für die Beobachtung der 
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen 
erarbeitet sowie die Frage der Abgeltungen geregelt werden. Das 
Standortauswahlverfahren wird aus heutiger Sicht rund 10 Jahre in 
Anspruch nehmen.
Was sind die sicherheitstechnischen Kriterien für die Suche nach 
Standorten?
Wanner: Bei der Suche nach Standorten für geologische Tiefenlager 
hat die Sicherheit stets oberste Priorität. Die 
sicherheitstechnischen Kriterien für die Standortwahl betreffen die 
Eigenschaften des Wirtgesteins wie räumliche Ausdehnung und 
Wasserdurchlässigkeit, die Langzeitstabilität einschliesslich der 
Berücksichtigung von Nutzungskonflikten, die Zuverlässigkeit der 
geologischen Aussagen, wozu die Charakterisierbarkeit der Gesteine, 
die Explorierbarkeit und die Prognostizierbarkeit von 
Langzeitverän-derungen gehören, sowie die bautechnische Eignung.
Werden alle verfügbaren geologischen Informationen berücksichtigt?
Wanner: Ja, die Auswahl möglicher geologischer Standortgebiete in 
Etappe 1 hatte aufgrund der heute bekannten Eigenschaften des 
geologischen Untergrundes zu erfolgen. Dabei waren alle verfügbaren 
geologischen Informationen zu berücksichtigen. Das ENSI überprüft 
derzeit, ob dies der Fall war.
Als Standort für ein SMA- (schwach- mittelaktive Abfälle) Lager 
war einst Wellenberg auserkoren. Warum wurde der Standort 
fallengelassen?
Wanner: Aus sicherheitstechnischer Sicht wurde der Standort 
Wellenberg sowohl durch die Nagra als auch durch die überprüfenden 
Behörden als geeignet für ein SMA-Lager beurteilt. Die notwendige 
kantonale Bewilligung für die Realisierung des Projekts wurde 1995 
vom Stimmvolk abgelehnt. Als auch ein schrittweises Vorgehen 2002 
beim kantonalen Stimmvolk keine Zustimmung fand, liessen die 
Projektanten den Standort fallen. Im neuen Standortauswahlverfahren 
ist der Wellenberg von der Nagra als eine der 6 aus 
sicherheitstechnischer Sicht möglichen Standortregionen für ein 
SMA-Lager erneut vorgeschlagen worden.
Für ein HAA- (hochaktive Abfälle) Lager gibt es Zweifel an der 
Eignung kristalliner Standorte. Wie sieht es mit Opalinuston aus?
Wanner: Der 1985 von der Nagra eingereichte Entsorgungsnachweis 
für HAA ging von einem Standort im kristallinen Grundgebirge aus. Die
Prüfbehörde kam in ihrem Gutachten zur Ansicht, dass die Suche nach 
einem geeigneten Standort im kristallinen Grundgebirge der Schweiz 
schwierig und ohne Garantie auf Erfolg sei. Sie forderte die Nagra 
auf, ihre Arbeiten auf Sedimentgesteine auszudehnen. Die Nagra ist 
dieser Forderung nachgekommen und reichte 2002, basierend auf dem 
Wirtgestein Opalinuston, den Entsorgungsnachweis HAA ein. Dieser 
wurde von den zuständigen Behörden positiv beurteilt. Auch eine 
internationale Expertengruppe gab dazu ein positives Urteil ab. Der 
Schweizer Bundesrat genehmigte 2006 den Entsorgungsnachweis HAA.
Im Sachplan geologisches Tiefenlager heißt es, dass Kantone, das 
benachbarte Ausland und die Bevölkerung einbezogen werden. Heißt das,
dass Deutschland gefragt werden würde, wenn der ausgewählte Standort 
für ein Endlager in Grenznähe liegen wird?
Wanner: Die an die Schweiz angrenzenden deutschen Bundesländer 
haben im Auswahlverfahren die gleichen Mitwirkungsrechte wie die 
Regionen in der Schweiz. In den späteren atomrechtlichen 
Bewilligungsverfahren sind nach schweizerischem Verfahrensrecht den 
angrenzenden deutschen Gemeinden und den dort lebenden Personen 
dieselben Rechte eingeräumt wie den betroffenen Schweizer Bürgerinnen
und Bürgern. Die Bau- und Betriebsbewilligungen können vor 
Bundesverwaltungsgericht und vor Bundesgericht angefochten werden. 
Die Teilnahme an einer Volksabstimmung im Zusammenhang mit der 
Rahmenbewilligung ist auf Personen beschränkt, die in der Schweiz 
stimmberechtigt sind.
Wann rechnen Sie mit der Inbetriebnahme der Endlager?
Wanner: Die offizielle Terminplanung des Bundesamts für Energie 
rechnet mit der Inbetriebnahme des SMA-Lagers frühestens 2030 und des
HAA-Lagers frühestens 2040.
In Deutschland legten sich Politiker gegen den Rat von Experten 
auf Gorleben als HAA-Endlager fest. Die Bevölkerung wurde gar nicht 
erst gefragt. Rechnen Sie mit einem endgültigen Aus für Gorleben?
Wanner: Als zuständige Aufsichtsbehörde der Schweiz kann sich das 
ENSI nicht zu den politischen Vorgängen in Deutschland äußern.
Das Atommülllager im Salzstock Asse ist akut einsturzgefährdet.
Würde der Salzstock Gorleben die strengen Schweizer Kriterien 
überhaupt erfüllen?
Wanner: Salz, Ton und Kris"tallin gelten weltweit als potenziell 
mögliche Wirtgesteine für HAA-Lager. Ob der Salzstock in Gorleben die
Schweizer Kriterien erfüllt, müsste mittels eines detaillierten 
Sicherheitsnachweises aufgezeigt werden.
Die Schweiz hat derzeit fünf Atomkraftwerke an vier Standorten. 
Drei neue Werke Leichtwasserreaktoren -- sind geplant. Wann sollen 
diese ans Netz gehen?
Wanner: Die Bewilligungsverfahren sind zeitaufwendig. Sie 
beinhalten eine Rahmenbewilligung, die dem fakultativen Referendum 
unterliegt. Das Schweizer Stimmvolk kann also bestimmen, ob es ein 
neues Kernkraftwerk will oder nicht. Zurzeit läuft das 
Rahmenbewilligungsverfahren für drei neue Kernkraftwerke. Danach 
folgen die Bau- und die Betriebsbewilligung, die nach geltendem Recht
bis zur höchsten gerichtlichen Instanz angefochten werden können. 
Heute wird damit gerechnet, dass ein neues KKW frühestens in rund 17 
Jahren ans Netz gehen kann.
Im Kernkraftwerk Mühleberg gibt es Probleme mit Rissen im 
Kernmantel. Mühleberg ist wie auch der deutsche Pannenreaktor Krümmel
ein Siedewasserreaktor. Ist dieser Typ zu störanfällig?
Wanner: Beim Kernmantel handelt es sich um ein zylinderförmiges 
Strömungsleitblech im Innern des Reaktordruckbehälters. Es führt 
keinen Druck und dient in den Siedewasserreaktoren der optimalen 
Leitung des Kühlwassers. Siedewasser- und Druckwasserreaktoren 
gehören zu den Leichtwasserreaktoren. Beide Typen sind in Bezug auf 
die nukleare Sicherheit gleichwertig. Dies zeigt auch die 
jahrzehntelange internationale Erfahrung.
Alle drei geplanten Werke sollen direkt neben bestehenden AKW 
gebaut werden. Liegt das nur an der Infrastruktur oder wäre der 
Widerstand der Bevölkerung an neuen Standorten zu groß gewesen?
Wanner: Diese Frage ist politischer Natur. Dazu können wir als 
Sicherheitsbehörde nicht Stellung nehmen.
Das Interview führte Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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