Landeszeitung Lüneburg: ,,Das Duo ist genau falschherum besetzt" -- Parteienforscher Prof. Dr. Jürgen W. Falter kritisiert Entscheidung der SPD-Spitze
Lüneburg (ots)
Die Wahlsieger Union und FDP haben ihren Fahrplan für die Koalitionsverhandlungen festgelegt, am Montag findet die erste Runde statt. Dabei stehen mit der Steuer- und Sozialpolitik strittige Themen an. Die SPD versucht nach dem Wahldesaster, mit einer neuen Führung einen Neuanfang. Der Absturz in die Oppostion sei das Beste, was der SPD passieren konnte, denn ,,eine zweite Große Koalition hätte die SPD kaum durchgehalten. Sie wäre als Juniorpartner weiter zerschlissen worden", sagt der Parteienforscher Prof. Dr. Jürgen W. Falter im Gespräch mit unserer Zeitung. Zugleich kritisiert Prof. Falter die Entscheidung der SPD-Spitze, wonach Frank-Walter Steinmeier Fraktionschef und Sigmar Gabriel Parteichef werden soll: ,,Das Duo ist genau falschherum besetzt."
Was war für Sie die größte Überraschung des Wahlsonntags? Prof. Dr. Jürgen W. Falter: Ich hatte damit gerechnet, das die Wahl knapper ausgehen und es für Schwarz-Gelb nicht reichen werde. Und ich hatte nicht erwartet, dass die SPD so tief abstürzen würde.
Was haben Steinmeier und Müntefering falsch gemacht? Falter: Ich glaube, sie sind an ihrer eigenen Koalitionspolitik beziehungsweise der der FDP gescheitert. Denn die SPD hatte am Ende nur noch eine Möglichkeit: Als Juniorpartner eine Koalition mit der Union zu bilden. Die FDP hatte einer Ampel ja eine klare Absage erteilt, zugleich hatte die SPD eine Linkskoalition ausgeschlossen. Damit war die SPD eingemauert. Diejenigen, die nicht eine Fortsetzung der Großen Koalition haben wollten, durften also nicht die Sozialdemokraten wählen.
Die FDP ist im Prinzip mit einer Koalitionsaussage -- Schwarz-Gelb -- und einem Thema, der Steuereform, zum eigentlichen Wahlsieger geworden. Lässt sich so ein Erfolg wiederholen oder gehen Sie davon aus, dass die FDP entzaubert wird? Falter: Die FDP wird natürlich ein Stück weit entzaubert werden, weil sich große Teile ihres Wahlprogramms nicht umsetzen lassen. Da ist der FDP nicht nur die Wirtschaftskrise dazwischen gekommen, sondern auch der Schwenk der CDU hin zu mehr sozialen Inhalten. Frau Merkel ist -- bezogen auf die Wahl 2005 -- ein gebranntes Kind. Sie wird von bestimmten Position nicht mehr abrücken -- vor allem im Hinblick auf die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai. Sollte diese Wahl verloren gehen, hätte Schwarz-Gelb gleich wieder ihre Bundesratsmehrheit verloren und das Regieren würde viel schwerer werden.
Ist der Absturz in die Opposition das Beste, was der SPD passsieren konnte? Falter: Ja. Ich glaube, die SPD hätte eine zweite Große Koalition kaum durchgehalten. Sie wäre als Juniorpartner weiter zerschlissen worden. Denn Frau Merkel beansprucht in ungemein geschickter Weise immer die Lorbeeren für sich, ohne sich in die Niederungen des politischen Straßenkampfes zu begeben. Mit dieser präsidialen Art der Kanzlerschaft konnte sie viele Punkte sammeln -- und das wäre der SPD wieder passiert. In der Opposition hat die SPD die Chance, stärker sozialdemokratische Position zu besetzen, was durch die Kompromisse in der Großen Koalition nicht möglich war. So könnte sie für einen Teil der Wähler wieder attraktiver werden.
Rechnen Sie mit einem langen Selbstzerfleischungsprozess durch Wiederauflammen der Flügelkämpfe in der SPD oder glauben Sie, dass ein Duo Steinmeier/Gabriel die Partei einen könnte? Falter: Das Duo ist genau falschherum besetzt. Gabriel sollte Fraktionvorsitzender werden und Steinmeier Parteichef. Denn Gabriel hat genau die bissige, attackierende Art, die ein Oppositionsführer im Bundestag braucht. Ich glaube, Steinmeier wird sich als Person nicht mehr so stark ändern, als dass er die Rolle als Oppostionsführer gut ausfüllen könnte. Steimmeier ist eher der argumentierende, der integrierende Typ, den man eigentlich als Parteivorsitzender brauchte. Wenn sich das SPD-Personaltableau so durchsetzt, wie es derzeit angedacht ist, hat die SPD mit Steinmeier und Oppermann zwar in der Fraktion den rechten Flügel stark vertreten. Doch in der Parteispitze würde es einen deutlichen Schritt nach Links geben: Gabriel, der zwar kein Parteilinker ist, aber flexibel genug, alles mitzumachen, würde eingemauert werden von einer Andrea Nahles als Generelsekretärin sowie einem Klaus Wowereit und einer Hannelore Kraft als Stellvertretenden Parteichefs.
Was braucht die SPD dringender: Mehr Guttenberg oder neue Inhalte? Falter: Die SPD muss sich mit den Anforderungen der modernen Gesellschaft auf eine Weise auseinandersetzen, die es ermöglicht, dass der Markenkern der Sozialdemokratie erhalten bleibt, gleichzeitig ihr Programm aber nicht als hoffnungslos veraltet erscheint. Das ist ein relativ schwieriger Spagat. Mandelssohn oder Hombach etwa haben es versucht. Und auch Steinmeier hat es umzusetzen versucht. Die Agenda 2010 ist in gewisser Hinsicht eine sozialdemokratische Antwort auf die gesellschaftliche Entwicklung. Die Leute haben dies aber nicht kapiert, denn die Agenda ist, obwohl sie in vielerlei Hinsicht erfolgreich war, nicht gut genug vermittelt worden. Es wird also sehr schwer, den richtigen Weg zu finden. Wenn man sich zur Linken öffnet, bedeutet das auch, Positionen der Ära Schröder wieder aufzugeben, was mit Steinmeier schwer zu machen ist. Es droht eine Zerreißprobe.
Die Linke fordert bereits eine ,,Resozialdemokratisierung" -- bestimmt jetzt Lafontaine wieder den Kurs der SPD? Falter: In gewisser Hinsicht bestimmt er das mit großer Geschicklichkeit. Die SPD lässt sich in ihrer Not auch darauf ein. Mit anderen Worten: Die SPD wird in den Inhalten, vor allem aber im Auftreten wieder linker werden und den Schulterschluss mit den Gewerkschaften suchen. Die SPD wird versuchen, die Speerspitze einer linken Koalition zu werden.
Linkspartei und Grüne sind erstarkt. Droht der SPD da nicht eine Art Juniorrolle in der Opposition? Falter: Nein, eine Juniorrolle sicherlich nicht, da die SPD doppelt so viele Stimmen erhalten hat wie Linke und Grüne. Die SPD hat zwar keine flammenden Rhetoriker wie Gysi oder Lafontaine, aber insgesamt das deutlich größere Politikerpotenzial.
Per Definition ist die SPD aber keine große Volkspartei mehr. Falter: Richtig. Was die Zahlen angeht, ist sie es nicht mehr. Vom Anspruch her ist sie aber immer noch eine Volkspartei. Das unterscheidet sie von der Linkspartei und den Grünen.
Glauben Sie, dass die SPD an alte Erfolge anknüpfen kann? Falter: Die 30 Prozent sind sicherlich drin. Vor allem, wenn es irgendwann zu einer Vereinigung der Linken kommen sollte.
Auf Dauer kommt die SPD also nicht daran vorbei, sich mit der Linkspartei zusammenzutun? Falter: Ja, wenn man will, dass die SPD wieder mehr als 30 Prozent auf die Beine stellt. Ich glaube aber, dass es der SPD gelingen wird, der Linkspartei eine Reihe von Wähler abzunehmen und auch Nichtwähler zurückzugewinnen, wenn sie eine klare Oppositionspolitik betreibt.
Glauben Sie, dass die SPD unter ,,Erneuerung" einen Rückzieher bei Hartz IV und der Rente mit 67 versteht? Falter: Das kann sie eigentlich kaum machen, denn Steinmeier hat hier klare Positionen. Und bei der Rente mit 67 gilt: Man kann nicht auf Dauer gegen die Gesetze der Mahtematik verstoßen. Weniger Einzahler, mehr Empfänger, längere Bezugsdauer -- ohne Gegensteuern bricht ein umlagefinanziertes System irgendwann zusammen -- es sei denn, man hebt das Rentenalter hoch. Insgesamt scheint mir mehr Flexibilisierung nötig zu sein, aber am Prinzip muss die SPD festhalten, sonst wird sie völlig unglaubwürdig.
Erstmals seit Jahren wird es wieder zumindest auf dem Papier zwei Lager geben: Konservativ-liberal die Regierung, linksgerichtet die Opposition. Ist diese klare Aufteilung geeignet, den Trend zu sinkenden Wahlbeteiligungen zu stoppen? Falter: Das kann in der Tat der Fall sein. Wenn es dazu kommt, dass bei der nächsten Wahl eine linke Koalition gegen eine Mitte-Rechts-Koaliton antritt, wissen die Wähler wieder, woran sie sind. Es gibt klare Koalitionen, es wird klarere Alternativen geben und nicht ein solches ,,Wischi-Waschi"", wie wir es in der Großen Koalition erlebt haben. Wenn es dann auch noch interessante Spitzenkandidaten gibt, dürfte die Wahlbeteiligung wieder steigen.
Das Interview führte Werner Kolbe
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