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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Macht Obamas ist begrenzt" -- Interview mit dem US-Experten Prof. Crister Garrett

Lüneburg (ots)

Zaudern, Zögern, Zweifel. Die rauschhafte
Begeisterung nach der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten ist 
vielerorts Ernüchterung gewichen. Überraschend kommt deshalb für 
viele die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama: Denn: Die 
Reform des Gesundheitswesens stockt. Beim Klimaschutz hinken die USA 
hinter den von Obama formulierten Zielen hinterher. In Afghanistan 
zögert der Präsident, die von Generälen geforderte Truppenaufstockung
anzuordnen. Das Gefangenenlager Guantànamo Bay ist immer noch offen. 
Lediglich beim Einstampfen des Raketenschutzschildes in Osteuropa 
kann Obama Vollzug melden. Endet der Hoffnungsträger trotz Nobelpreis
als Ankündigungspräsident? Wir fragten Crister Garrett. Der 
US-Amerikaner ist Professor für Amerikanische Außenpolitik und 
Internationale Studien in Leipzig.
Das IOC ließ die Obamas abblitzen. Die Olympischen Spiele finden 
in Rio und nicht in Chicago statt. Ist Obamas Zauber verflogen?
Prof. Crister Garrett: Auf den ersten Blick könnte man diesen 
Eindruck haben. Auf den zweiten hat die Entscheidung mehr mit der 
"Innenpolitik" des Olympischen Komitees zu tun als mit Obama. Aber 
das Votum zeigt, dass sich die Macht der USA relativiert. Brasilien 
ist ein kommender Akteur auf der Weltbühne. Diese Auswahl ist ein 
Indiz dafür.
Der US-Präsident will 47 Millionen bisher noch nicht abgesicherten
US-Bürgern Zugang zur Krankenversicherung gewähren. Er lässt aber 
offen, wie. Schürt er mit dieser Schwammigkeit die Ängste der Bürger?
Prof. Garrett: Die Ängste bestanden schon vor der aktuellen Debatte. 
Obama versucht, ein seit einem halben Jahrhundert sehr kontrovers 
beurteiltes Vorhaben - an dem Eisenhower und Truman scheiterten - zu 
Ende zu führen. Oppositionspolitiker schüren Ängste vor dem 
Reformprojekt, das hat aber nichts mit dem Präsidenten zu tun.
Aber würde mehr Klarheit keinen Schub bringen? Etwa, wenn er 
sagte: Ja, es wird eine staatliche Versicherung. Ja, auch der 
Mittelstand muss dafür höhere Steuern zahlen.
Prof. Garrett: Derartige Klarheit würde sicher manche Menschen 
überzeugen, andere aber abschrecken. Vermutlich wäre sie 
kontraproduktiv bei dem Versuch, für dieses Mammutvorhaben im 
Kongress einen Minimalkonsens zu finden. Von daher ist diese 
Schwammigkeit gewollt. Sie entspricht dem politischen System der USA.
In einem präsidialen System bleiben die Kontrahenten bewusst 
allgemein, um sich nicht die Chance zu verbauen, verschiedene Kräfte 
hinter sich zu vereinen.
Selbst wenn es Obama gelänge, eine Mehrheit hinter sich zu 
bringen, fehlte es immer noch an Kliniken für Millionen Bürger. Ist 
der Reformansatz halbherzig?
Prof. Garrett: Von Seiten des Präsidenten überhaupt nicht. Für ihn 
hat dieses Projekt absolute Priorität, wurde nur durch die 
Weltwirtschaftkrise in den Hintergrund gedrängt. Im Gesundheitswesen 
werden Ressourcen vergeudet, die etwa dem Bildungssystem fehlen. 
Millionen leben in existenzieller Not. Fehlende ärztliche Versorgung 
mindert ihre Arbeitskraft. Hier haben die USA ein strukturelles 
Problem. Der Reformentwurf Obamas würde es nicht lösen, aber einer 
Lösung näherbringen.
Manifestiert sich in dem Widerstand gegen das Reformprojekt 
latenter Rassismus? Profitieren würden vor allem Hispanics und 
Schwarze?
Prof. Garrett: Dieser Vorwurf wurde von Ex-Präsident Jimmy Carter 
erhoben. Er lässt sich nicht einfach wegwischen. Es gibt US-Bürger, 
die Obama wegen seiner Hautfarbe hassen. Ich glaube aber nicht, dass 
dies das Hauptmotiv des Widerstands ist. Eher dürfte die derzeitige 
Kopflosigkeit der republikanischen Partei die Ursache sein. In dem 
Versuch, sich eine neue Basis zu geben, bieten sie auch den 
abstrusesten Gegnern jeglicher Vorhaben der Zentralregierung eine 
Plattform.
Die Gesundheitsreform beschäftigt den Senat derart, dass das 
US-Klimagesetz nicht bis zum Weltklimagipfel fertig wird. Verzettelt 
sich Obama?
Prof. Garrett: Nein, die Vielfalt von Initiativen spiegelt eher die 
Notwendigkeit wider, größere Projekte zu Beginn der Amtsperiode 
durchzuziehen. Schon im nächsten Jahr finden Kongresswahlen statt. 
Mit Abgeordneten, die um ihr politisches Überleben kämpfen, lässt 
sich keine Klimawende vollziehen. Anschließend hat die 
Obama-Administration noch knapp ein Jahr, bevor es darangeht, sich im
letzten Jahr auf die Wiederwahl zu konzentrieren. So gesehen 
verzettelt sich Obama nicht, er versucht nur konsequent, sein 
Zeitfenster zu nutzen.
Hinzu kommt: Klimaschutz ist auch in der Demokratischen Partei 
umstritten. Auch hier ist Obama in der Pflicht, Kompromisse 
einzugehen, um eine Mehrheit im Kongress zu organisieren.
Dieser Zwang zum Kompromiss lässt die USA in Sachen Klimaschutz 
weiter hinter der EU hinterherhecheln, statt wie angekündigt die 
Führungsrolle im Klimaschutz zu übernehmen. Sogar China setzt zum 
Überholen an. Unterschätzte die neue Regierung die Lobbys?
Prof. Garrett: Nein, überhaupt nicht. Dem Team im Weißen Haus 
bescheinigen sogar die Republikaner höchst professionelle Arbeit. In 
einem präsidialen System ist es immer sehr mühsam, eine Mehrheit für 
große Projekte zu organisieren. Manche bezeichnen dieses System als 
chaotisch. Man könnte es aber auch als sehr demokratisch bezeichnen, 
weil es viele Akteure mit handfester Macht gibt. Im autoritären 
Regime Chinas ist dies naturgemäß anders.
Viele Akteure gibt es auch in der US-Außenpolitik. Obama hat den 
Afghanistan-Einsatz zu "seinem Krieg" erklärt. Zugleich klafft ein 
tiefer Riss zwischen Generalität und Weißem Haus. Warum zögert Obama,
die Truppen aufzustocken?
Prof. Garrett: Das ist eine sehr gute Frage. Zum einen sind da 
gewichtige Parallelen zum Vietnam-Krieg. Eine Erhöhung der Zahl der 
Bodentruppen ist in den USA ein brisantes Vorhaben. Zum anderen nimmt
sich Obama die Zeit, um grundsätzlich zu klären, welche Ziele am 
Hindukusch in den nächsten drei bis fünf Jahren anvisiert werden 
sollen. Was haben wir im Irak gelernt? Was kann man in Afghanistan 
umsetzen? Diese Debatte läuft derzeit.
Ich denke, wir werden in den nächsten 30 Tagen eine klare Antwort 
haben - möglicherweise in einer großen Rede Obamas.
Ein klares Ziel war 2001 die Demokratisierung Afghanistans. Jetzt 
toleriert Washington sogar Fälschungen bei der Präsidentschaftswahl, 
was im Iran als inakzeptabel gilt. Schadet diese Doppelmoral dem 
Versuch Obamas, die Integrität der USA wiederherzustellen?
Prof. Garrett: Insgesamt eher nicht. Die internationale Gemeinschaft 
versteht, dass Washington kein großer Verteidiger Karsais ist. Er ist
alles andere als ein idealer Kandidat des Westens, aber repräsentiert
als Paschtune immerhin einen großen Teil der Bevölkerung.
Die Ziele können in Afghanistan analog zum Irak nur sein, zunächst 
die Sicherheit der Menschen vor Terrorakten zu verbessern. Dann das 
Land über einen Ausbau der Infrastruktur zu stabilisieren. Erst am 
Ende könnte es dann zu einer stärkeren Kooperation der ethnischen 
Gruppen kommen.
Das Regime in Teheran sendet widersprüchliche Signale Richtung 
Washington. Wird die ausgestreckte Hand Obamas ergriffen oder 
bespuckt?
Prof. Garrett: Ein bisschen von beidem. Obamas Kurswechsel macht das 
Leben für die Machthaber in Teheran komplizierter. Die einfache 
Projektionsfläche - die USA als ""großer Satan"" - ist mit Obama 
verschwunden. Die neue US-Diplomatie hat neue Räume für westliche 
Initiativen eröffnet.
Andererseits bedarf die Gruppe der Hardliner weiter des Erzfeindes 
USA, um ihre eigene Macht zu festigen. Sie werden Obamas 
ausgestreckte Hand bespucken und nicht als Chance begreifen, wie das 
Lager der Moderaten. Diese neue Komplexität in den Beziehungen beider
Länder ist eine Chance.
Komplexer als gedacht ist die Schließung des Gefangenenlagers 
Guantanamo. Bis Januar wird es nichts. Wäre dies nicht das geeignete 
Feld für einen Prestigeerfolg?
Prof. Garrett: Auf jeden Fall. Deshalb hat Barack Obama bereits an 
seinem ersten Arbeitstag die Order zur Schließung des Lagers 
unterzeichnet. Doch die Regierung ist in einer schwierigen Situation:
Reichen die Beweise gegen die als gefährlich eingestuften Gefangenen?
Wohin mit den Insassen? Kaum ein Land will sie aufnehmen. Trotz 
dieser Hängepartie hat Obamas Glaubwürdigkeit aus meiner Sicht nicht 
gelitten, weil er Foltermethoden unterbunden hat. Zudem erwarte ich, 
dass die Lage bis zum Frühjahr geklärt ist.
Kratzer an der Glaubwürdigkeit brachte der G 20-Gipfel, weil eine 
durchgreifende Neuordnung des Finanzmarktes ausblieb. War der Druck 
der US-Banken zu groß?
Prof. Garrett: Das denke ich nicht. Hier gibt es eher einen 
inhaltlichen Dissens. Die westlichen Industriestaaten brauchen global
player bei den Banken. Die Frage ist nun, wie können die Geschäfte 
transparenter gemacht werden, ohne die Marktfähigkeit zu beschneiden?
Es gilt, eine ausgewogene Lösung zu finden, um Finanzjongleure 
einzuhegen, ohne Wachstumskräfte zu fesseln. Hier gibt es 
Unterschiede zwischen Angelsachsen und Kontinentaleuropäern. Wir 
werden ein neues Weltfinanzsystem mit neuen Regeln bekommen, aber es 
wird noch bis zu zwei Jahre dauern, bis alle Details festgelegt sind.
An Obamas Wahl knüpften sich derart irreale Hoffnungen, dass sie 
wohl nur ein Erlöser hätte erfüllen können. Ist das, was jetzt vielen
wie ein Scheitern erscheint, nur die notwendige Korrektur der 
Erwartungshaltung?
Prof. Garrett: Ich sehe das so. Die Macht des US-Präsidenten ist 
begrenzt - und das ist eigentlich eine gute Nachricht. Der 
US-Präsident muss ständig Mehrheiten für seine Politik suchen - sei 
es innenpolitisch, sei es außenpolitisch. Zwar hat ein US-Präsident 
unstrittig Einfluss, doch in der Weltpolitik hört man viele Stimmen, 
erlebt viele Akteure.
Es gibt keine Imperien mehr, wie etwa Großbritannien im 19. 
Jahrhundert, die konkurrenz- und schrankenlos agieren konnten.
Ich glaube nicht, dass Barack Obama die Grenzen, an die er derzeit 
stößt, überraschen. Die Konsenssuche, der er sich verschrieben hat, 
ist aber ein gutes Vorbild für die US-Politik allgemein und sogar für
eine Art demokratischer Weltregierung.
Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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