Landeszeitung Lüneburg: Europa braucht Klima-Allianz mit Asien
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: China könnte der neue Klima-Vorreiter werden - US-Politiker sind sich selbst genug
Lüneburg (ots)
Während der Klimawandel die Nordostpassage im Polarmeer freigeschmolzen hat, scheitert der UN-Klimagipfel in Doha daran, dass Thermostat im Treibhaus Erde etwas runterzudrehen. Für Umweltwissenschaftler Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker höchste Zeit für neue Wege: "Europa sollte eine Allianz mit Asien zur Dämpfung der Folgen des Klimawandels eingehen."
Umweltminister Altmaier rüffelte fehlenden Willen bei den Staaten auf der UN-Klimakonferenz. Wie sieht Ihre Halbzeitbilanz für Dohar aus?
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ziemlich negativ. Zwar macht Europa insgesamt noch eine ganz gute Figur. Wir wollen eine Fortsetzung der Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls mit einem noch ehrgeizigeren Programm. Die US-Amerikaner wollen keine Fortschreibung, feiern vielmehr, dass sie mithilfe von Erdgas-Fracking und einem Überangebot von Biotreibstoffen ihre formelle CO2-Bilanz ein bisschen gesenkt haben - aber beides ist sehr umweltschädlich. Auf die Amerikaner kann man sich also nicht verlassen. Die Russen haben einen sehr einleuchtenden Vorschlag gemacht, nämlich, dass man gegenüber Kyoto den Anhang, der die Emissionsminderung nur von den Staaten verlangt, die 1990 als Industriestaaten galten. Ein Punkt, der auch Washington aufstößt. Die Europäer sind eher geneigt, die alte Lastenverteilung noch zu akzeptieren, aber die Entwicklungsländer lehnen den russischen Vorschlag entrüstet ab.
Dank der Krise hat Europa sein für 2020 anvisiertes Ziel, 20 Prozent weniger CO2 auszustoßen, bereits 2011 erreicht. Wäre es an der Zeit, im Alleingang die Messlatte höher zu legen?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ja, weil wir uns das leisten können. Wir müssen es aber langfristig anlegen, also nicht etwa Kapital vernichten oder soziale Brüche provozieren. Ziel muss sein, nicht länger in Anlagen oder Infrastruktur zu investieren, die das Klimaproblem schwerer lösbar machen. Zudem sollte Europa unabhängig von dem rechtlichen Rahmen der Klimaschutzkonvention eine Allianz mit Asien anstreben. Eine Allianz, die die Entwicklung klimaverträglicher Technologien ebenso vorantreibt wie eine sanfte, sozial verträgliche Verteuerung von Energie und CO2-Erzeugung, die langfristige Strategien anstelle der Kurzfristigkeit der Vierteljahresabschlüsse in den USA setzt, und die einen starken Staat statt eines übermächtigen Marktes propagiert. Gedanken, die in China, Japan oder Indien selbstverständlich sind, in den USA aber schroff abgelehnt würden.
In Ihrem neuen Buch beleuchten Sie auch die Entwicklung in China. Wächst hier die neue Öko-Vormacht heran?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: In gewissem Sinne ja. Seit fünf Jahren sind Europa und China die einzigen innerhalb der Staatengemeinschaft, die verbindliche Richtwerte festgelegt haben. Im Falle Europas für die CO2-Verminderung, im Falle Chinas für die Energieeffizienzverbesserung und - seit dem zwölften Fünf-Jahres-Plan - auch für die Kohlendioxidverminderung. Leider sind Japaner und Kanadier aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen, während die US-Amerikaner noch nie dazu gehörten. Und die Entwicklungsländer haben sich auch noch nicht in einem aktiven Sinne am Kyoto-Prozess beteiligt.
Zwar stehen die USA bisher Kyoto fern. Aus Ihrer Erfahrung der drei Jahre, als Sie die kalifornische Umwelthochschule leiteten: Mutiert Barack Obama in seiner letzten Amtszeit noch zum Öko-Präsidenten?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Er würde gerne, aber die amerikanische Öffentlichkeit geht da nicht mit, abgesehen von der Bevölkerung an den Küsten. Der amerikanische Kongress ist das langsamste Parlament der Welt und hat seit dem Amtsantritt von Ronald Reagan 1981 keine einzige relevante internationale Konvention mehr ratifiziert. Die US-Politiker sind sich selbst genug und empfinden jede internationale Verpflichtung als freche Einmischung in die inneren Angelegenheiten der USA. Viel machen kann der Präsident da nicht. Es wäre schon heroisch genug, sollte er versuchen, die Klimaschutzanstrengungen derjenigen Staaten, die voranschreiten - wie etwa Kalifornien - auf die Bundesebene zu heben. Um der Erfolgschancen willen darf er sich aber nicht leisten, dies als internationalen Erfolg zu verkaufen.
Noch mal zurück zu China: Die Landbewohner Chinas werden nicht länger Rad fahren wollen, damit in den reichen Küstenstädten die Mercedesse rollen können. Ist der soziale Gegensatz ein Sprengsatz für die ökologische Orientierung?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Generell ja, aber Ihr Beispiel trifft es nicht so ganz. Es stimmt, dass die Gouverneure der westlichen, chinesischen Provinzen bei ehrgeizigen ökologischen Zielsetzungen eher bremsen. Aber zumindest auf der Ebene des Volkskongresses und der zentralen Regierung haben wir sehr viele ökologische Vorschriften. Ein Drittel des zwölften Fünf-Jahres-Plans, höre ich, ist der Umwelt gewidmet. Dass Ihr Beispiel nicht zieht, liegt an Schanghai, Peking und Guangdong, die Vorschriften aus Singapur kopiert haben, wonach man als Einwohner der Stadt kein Auto kaufen darf, wenn man nicht zuvor eine entsprechende Lizenz erstanden hat. Das heißt, China setzt in den reichen Städten eine Begrenzung des Autoaufkommens durch. Vergleichbares gibt es im Westen nicht. Die Machthaber haben dies zwar nicht verfügt, um gegenüber den Armen ein Zeichen zu geben, sondern, um den innerstädtischen Verkehr flüssig zu halten. Dennoch nützt es der Umwelt.
Mit jeder gescheiterten Klimakonferenz bewegt sich die Menschheit einen Schritt weiter auf den Abgrund zu, aber das scheint keine Panik auszulösen. Fehlt dem Menschen ein Sinn, der auch bei langsamen Veränderungen Alarm schlägt?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ja, das ist ein Teil des Problems. Wir nehmen Verschlechterungen wahr, die sich innerhalb von zwei Jahren abspielen. Solche, die über 50 Jahre ablaufen, sind für viele Menschen schon unvorstellbar. Deswegen ist ein richtiger Impuls für kühne Klimapolitik erst dann zu erwarten, wenn wieder Katastrophen eintreten. So hat in den USA erst der Wirbelsturm "Katrina" im August 2005 den Aufstieg von Al Gore zur US-Umweltikone möglich gemacht. Nur ist dieser Effekt mittlerweile verpufft. Das Verdorren der Ernte im Sommer und der Sturm "Sandy" an der Ostküste haben noch mal für ein Aufflackern des Umweltbewusstseins gesorgt, aber dennoch ist mehr als die Hälfte der US-Bürger der Meinung, es gäbe keinen Klimawandel. Schuld ist auch die Meinungskultur in den USA, die dem Juristengrundsatz Audiatur et altera pars (lat. für "Gehört werde auch der andere Teil"; d. Red.) eine sehr große Bedeutung zumisst. Kommt in einer Zeitung ein Forscher mit dem Ergebnis seiner Studie zu Wort, dass die Klimaerwärmung ein Problem ist, sucht die Redaktion einen Forscher, der dies bestreitet. Ein Senator aus Oklahoma oder Nebraska denkt dann, dass er frei wählen kann - und das macht er dann aus politischen Nützlichkeitserwägungen.
Sie haben in Ihrem Buch "Faktor Fünf" ein Konzept für umweltschonendes Wachstum vorgelegt. Aus jeder Kilowattstunde Strom, aus jedem Fass Öl könnte das Fünffache herausgeholt werden. Wie das?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Zunächst muss man sich klar machen, dass das wirklich geht. Würde ich hier auf der Straße Bürger fragen: "Könnt Ihr Euch vorstellen, dass man fünf mal so viel Wohlstand aus einer Kilowattstunde herausholen kann?", würde mir wohl ein Vogel gezeigt werden. Wir brauchen also Aufklärung. Zum zweiten muss die Geschäftswelt davon überzeugt werden, dass es in ihrer Hand liegt, dieses Potenzial auch zu nutzen. Beim Siemens-Vorstand bin ich beispielsweise in dieser Hinsicht schon echt optimistisch. Bei Autokonzernen ist das Bewusstsein noch nicht so ausgeprägt. Drittens - und dies ist das Wichtigste - sollte man Energie und Wasser jedes Jahr um so viel verteuern, wie die Effizienz im selben Zeitraum zugenommen hat. Würde dies politisch durchgesetzt, gäbe es ein Wettrennen zwischen Konzernen und Infrastrukturplanern um die größtmögliche Energieeffizienz. Ein Regime durch einen nach oben gerichteten Preiskorridor bringt völlige Investitionssicherheit: In Energieeffizienz zu investieren, bringt Geld. Und Geld bewegt den Markt.
Ist die Krise der Feind einer genügsamkeitsorientierten Kultur, weil reflexartig Wachstum gefordert wird?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Hier muss man unterscheiden: Eine genügsamkeitsorientierte Kultur wird zwangsläufig gestärkt. Das sieht man jetzt in Griechenland. Die Griechen werden verzweifelt genügsam, ziehen wieder in die Dörfer, bestellen wieder ihre alten Kleingärten, aus der Erkenntnis heraus, dass sie dies besser ernährt als staatliche Hilfe. Gleichwohl haben Sie mit Ihrer Diagnose recht, dass die Bereitschaft, eine andere Politik zu verfolgen als die des maximierten Wachstums im Moment sehr gering ausgeprägt ist. Ich halte dem entgegen: Die von mir vorgeschlagene sanfte Verteuerung von Energie ist absolut nicht wachstumsschädlich, genaugenommen nützt sie dem Wohlstand: Wir müssen dann weniger Geld nach Saudi-Arabien überweisen.
Sie plädieren seit langem für Kühnheit in der Klimapolitik. In der Realität aber blockieren die Länder eine Gesetz zur energetischen Gebäudesanierung, weil sie Steuerausfällefürchten. Wünschen Sie sich den Mut der Bankenretter auch für die Klimaretter?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Natürlich. Greenpeace hat es mit dem Plakat, das sie an der Deutschen-Bank-Zentrale aufgehängt hatten, gut getroffen. Dort war die Erde mit der Sprechblase zu sehen: "Wenn ich eine Bank wäre, hättet ihr mich längst gerettet."
Nach jüngsten Studien verfehlt die Menschheit das Zwei-Grad-Ziel deutlich. Braucht es Zwang, um eine für Menschen lebensfeindliche Erde zu verhindern?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ich bin vorläufig noch optimistisch genug, dass man die von mir skizzierten Politikwege rechtzeitig beschreitet, die den Wohlstand nicht behindern, sondern vermehren. Damit würde man Klimaschutz nicht als Verzichtsstrategie verfolgen, sondern als Gewinnerstrategie. Zwei Probleme stehen dem entgegen: Mangelndes Vertrauen in die Wirksamkeit des Faktor-Fünf-Konzeptes. Und der Einfluss mächtiger Gruppen, die Interesse an einer klimafeindlichen Art des Wohlergehens haben.
Wäre ein bisschen Zwang nach dem Vorbild Schanghai nicht sinnvoll?
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker: Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, werden wir die Frage Zwang oder nicht anders beantworten als in Zeiten eines komfortablen Lebens. Ob wir Zwang akzeptieren, hängt davon ab, wie groß unsere Notlage ist. Das war in der Weltgeschichte immer so. Warum sollte das beim Klima anders sein?
Das Interview führte Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell